Was der Nachtwind verspricht
Freund benahm sich sowieso etwas merkwürdig, seit er sein >kleines Biest< getroffen hatte.
Lazar fragte sich, ob Wassili wusste , wie besitz ergreifend er sich inzwischen anhörte, wenn er von Alexandra sprach. Oder ob ihm bewusst war, wie oft er sich im Laufe des Tages umschaute, nur um einen Blick auf sie zu erhaschen.
Wassili ritt auch nicht mehr so häufig alleine weg wie zuvor, und als sie die Berge erreichten, gab er diese Angewohnheit ganz auf. Aber schließlich war bekannt, dass die Karpaten Reisenden kein sehr freundliches Gesicht zeigten, ganz besonders dann, wenn diese etwas von Wert mitzuführen schienen. Einmal war es ihnen gelungen, die Berge ohne Zwischenfall zu überqueren. Ein zweites Mal würde ihnen das wahrscheinlich nicht glücken, besonders jetzt, da sie zwei vollbepackte Karren und eine Herde wertvoller Vollblutpferde mit sich führten.
Sie verstärkten die Sicherheitsvorkehrungen und stellten nachts zwei zusätzliche Wachen auf. Aber mehr als weitere Männer aus einem der Bergdörfer anzuheuern - was Wassili strikt ablehnte, da die Chancen sehr groß waren, dass sie die Männer anheuerten, die sie später ausrauben würden -, konnten sie nicht tun.
Einiges hatte sich verändert, aber selbst angesichts der Gefahren, die bei der Überquerung der Berge drohten, hatte Wassili seinen persönlichen Feldzug nicht aufgegeben. Er schien seine Bemühungen, Alexandra zu beleidigen und lächerlich zu machen und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu reizen, sogar noch zu verstärken. Der Grund hierfür war wahrscheinlich der, dass sie Kardinien - je nach Wetterlage - in ungefähr einer Woche erreichen würden. Aber wer hätte gedacht, dass er es so lange durchhalten würde?
Lazar fand das Ganze eigentlich recht amüsant, allerdings stand er damit wahrscheinlich alleine da. Es war ihm ziemlich langweilig gewesen, als Wassili und Alexandra versucht hatten, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Aber jetzt gerieten sie mindestens einmal pro Tag aneinander. Und immer noch sagte keiner von beiden die magischen Worte, die ihre Verlobung beenden würden. Statt dessen bemühten sich beide, dem Wort >stur< eine neue Bedeutung zu geben.
Trotz der Sonne, die in regelmäßigen Abständen hervorbrach, war es eiskalt. Sie hatten jedoch noch keinen Schneesturm erlebt, der - wie Wassili hoffte - Alexandra wieder nach Hause treiben würde. Und dies war ein weiteres Beispiel für Wassilis Verzweiflung. In Kard i nien gab es zwar wie in jedem anderen Land auf diesem Breitengrad zuweilen recht strenge Winter, aber Wassili verließ in dieser Jahreszeit nur sehr selten das warme Kaminfeuer. Wenn jemand unter der eisigen Kälte eines Schneesturms leiden würde, so würde das wahrscheinlich nicht Alexandra sein, sondern er.
Natürlich muss man gerechterweise zugeben, dass er und Lazar angenommen hatten, Wassilis Verlobte sei eine normal empfindende Dame. Sie konnten ja nicht wissen, dass sie ein Kind der Natur war und sich draußen wohler fühlte als im Haus, und das offensichtlich zu jeder Jahreszeit. Über einen Schneesturm würde sie sich genauso wenig beschweren wie über die Tatsache, dass sie seit dreieinhalb Wochen ununterbrochen im Sattel saß.
Es war früher Nachmittag, als sie endlich den Bergpass erreichten und mit dem Abstieg begannen. Während ihres Aufstiegs am Morgen hatte fast die ganze Zeit über die Sonne geschienen. Und da jetzt die Gefahr zumindest schon halb überstanden war, atmeten alle ein wenig auf, trotz der bedrohlich aussehenden Wolken, die heranzogen und über der Westseite des Berges hingen.
Aber kaum eine Stunde später fing es an zu schneien. Ihre Glückssträhne war vorbei. Nach dreißig Minuten schneite es so stark, dass sie den Pfad vor sich nicht mehr sehen konnten und ein Lager aufschlagen muss ten.
Während die Zelte aufgestellt wurden, arbeitete Alexandra fieberhaft daran, einen Windschutz für die Pferde zu schaffen, die jetzt ihre größte Sorge waren. Dazu verwendete sie die Karren, alle Gepäckstücke daraus und mindestens die Hälfte der zusätzlichen Decken, die sie für einen solchen Notfall mitgenommen hatte. Die ganze Zeit über schimpfte sie auf Wassili und gab ihm und seiner mit der Gräfin Schewzenko verschwendeten Woche die Schuld daran, dass es sie jetzt auf einen Berggipfel verschlagen hatte und sie nirgendwo Schutz suchen konnten.
Alexandra hielt jedoch überrascht inne, als sie sah, wie Wassili ihr half, anstatt sich um sein Zelt und sein Wohlergehen zu
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