Was der Winter verschwieg (German Edition)
etwas, und Sophie stellte fest, dass sie gar nicht zugehört hatte. „Sie haben hier einen ganzen Raum voller Würdenträger“, sagte sie und zeigte auf die versammelten Gäste. „Warum interviewen Sie gerade mich?“
„Weil Sie einen guten Artikel abgeben“, sagte er geradeheraus. „Ich schreibe über Sie und habe damit die Chance, vielleicht irgendwo anders als in den Randnotizen veröffentlicht zu werden.“
„Und dabei sollte ich Ihnen helfen, weil …“
„Sehen Sie“, sagte er. „Was hier passiert, ist eine große Sache. Ein unabhängiges Land ist davor gerettet worden, von der Landkarte getilgt zu werden. Aber wir beide wissen, dass Lieschen Müller sich dafür nicht die Bohne interessiert. Sie ist viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Stimme für den nächsten Superstar im Fernsehen abzugeben, als sich Gedanken um den Status irgendeines Landes in der Dritten Welt zu machen, von dem sie noch nie etwas gehört hat.“
„Glauben Sie bloß nicht, dass sich daran etwas ändern wird, nur weil Sie über mich schreiben.“
„Das wird es, wenn Sie etwas Ungewöhnliches tun, das sich gut auf Youtube verkauft.“
„Wie zum Beispiel, nur mit einer Windel bekleidet quer durch Europa zu reisen? Ich sehe schon, Sie gehen vollkommen in der Feierlichkeit des Augenblicks auf.“
„Nein, mal ernsthaft. Wie kommt ein nettes Mädchen wie Sie dazu, Kriegsherren und Diktatoren zu stürzen?“
„Reines Glück, würde ich sagen.“
„Wenn die Menschen an die Mitarbeiter des Weltgerichts denken, sehen sie siebzigjährige Herren in staubigen Roben vor sich und nicht …“ Er schenkte ihr einen bedeutungsvollen Blick.
Sie zwang sich, nicht darauf zu reagieren. Eine der wichtigsten Regeln ihres Berufes war es, nicht der öffentlichen Wahrnehmung der Arbeit des Gerichts zu schaden. „ Zuerst einmal sollten Sie klarstellen, dass der Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof stattgefunden hat, der vor sechs Jahren gegründet wurde und somit keine altehrwürdige Institution ist. Und ehrlich, der Grund, warum ich hier als Anklägerin fungiert habe, ist, dass der leitende Anwalt und sein Stellvertreter kurz vor der ersten Anhörung krank geworden sind.“ Willem De Groot war ein älterer Mann, der ihre Leidenschaft für Gerechtigkeit teilte. An die Dialysemaschine angeschlossen, hatte er sie und sein Team Woche für Woche durch den Fall geleitet.
„Also war es eher der Fall: Glück trifft auf Gelegenheit“, sagte Brooks.
„Eher: Pech trifft auf Notwendigkeit“, stellte Sophie klar. „Ich würde alles geben, wenn er heute Abend hier sein könnte.“
„Sie wollen wirklich nicht der Star dieser Veranstaltung sein, oder? Was für eine Vergeudung von Aussehen und Talent.“
„Mein Aussehen scheint Sie sehr zu faszinieren.“
„Das liegt an dem Kleid. Sie müssen gewusst haben, dass es diese Wirkung auf Männer hat. Sogar ohne Juwelen. Ich nehme an, Sie wollen damit ein Statement abgeben.“
„Aus offensichtlichen Gründen bin ich gegen Diamanten. Und so viele andere Steine sind ebenfalls äußerst fragwürdig, sodass es einfacher ist, gar keine zu tragen. Aber Perlen! Sie werden von Austern produziert und von glücklichen Tauchern geerntet, oder? Also sollte ich anfangen, Perlen zu tragen.“
„Zum Beispiel in dem Video“, schlug er vor.
Sophie war zwei Schlucke Champagner davon entfernt, den Kerl einfach stehen zu lassen. „Sie sind unerträglich, Mr Fordham. Und ich verabschiede mich jetzt. Gleich geht’s los.“
„Eine letzte Frage, dann lasse ich Sie in Ruhe.“
„Also los.“
„Darf ich Sie morgen Abend zum Essen einladen?“
„Das klingt nicht danach, mich in Ruhe zu lassen.“
„Aber klingt es … wie eine gute Idee?“
Sie zögerte. Vermutlich hatte er einen Abschluss von einer Eliteschule, einen Stammbaum, der bis zur
Mayflower
zurückreichte, und die Einstellung, dass er alles bekam, was er sich in den Kopf setzte. Trotzdem hieß ein Dinner mit ihm, dass sie nicht allein essen musste. „Meine Assistentin wird Sie anrufen, um die Einzelheiten abzustimmen.“
„Es ist nur eine Verabredung zum Essen, kein internationales Gipfeltreffen.“
„Meine Assistenten sind sehr gut darin, Sachen zu organisieren“, versicherte sie ihm. Eine Verabredung mit diesem Mann wäre vielleicht eine willkommene Abwechslung. Ihre romantische Vergangenheit war … durchschnittlich. Womöglich war das genau das richtige Wort. Nichtssagende Fummeleien in der Highschool waren durch etwas
Weitere Kostenlose Bücher