Was der Winter verschwieg (German Edition)
Strafgericht, einem weiteren vom Gerichtshof, einem Verbindungsmann der Vereinten Nationen und der Königin der Niederlande, deren Blutlinie siebzehn Generationen niederländischer Könige zurückreichte. Sophie gesellte sich zum Rest des Teams der Anklage vor dem Podest, wo sie, wie der Assistent des Veranstaltungsmanagers ihnen erklärt hatte, warten sollte. Mit ihr wartete ihr bester Freund und Kollege Tariq Abdul-Hakeem. Wie sie war er stellvertretender Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof. Sie hatten gemeinsam an dem Fall gearbeitet. Sophie hatte Tariq vor Jahren bei ihrem Praktikum in London kennengelernt, und seitdem war er ihr einer der liebsten Menschen auf der Welt – außerdem auch einer der attraktivsten. Mit seinem Aussehen hätte er gut die Titelblätter der Modemagazine zieren können. Er hatte cremefarbene Haut, einen feurigen Blick, Gesichtszüge, die wie gemeißelt schienen, und den entzückendsten britischen Akzent, den man sich vorstellen konnte. Während ihrer gemeinsamen Arbeit waren sie mehr als Kollegen geworden. Er war einer der wenigen Menschen, gegenüber denen Sophie sich öffnete und mit denen sie über die Situation mit Greg und ihren Kindern sprach.
„Geht es dir gut, meine Blume?“, flüstert Tariq ihr ins Ohr.
„Natürlich geht es mir gut. Warum auch nicht?“
„Vielleicht bist du etwas
bouleversée
wegen der Tatsache, dass dein Exmann heute heiratet.“
Kopfschüttelnd winkte sie ab, obwohl sie wusste, dass Tariq sich nicht täuschen lassen würde. „Na und, dann heiratet er eben. Wir wussten, dass es so kommen würde. Er ist ein Mann. Die heiraten doch immer wieder aufs Neue.“ Sie lachte leise auf. „Irgendjemand muss doch ihre Erziehung zu Ende bringen.“ Trotz ihres Sarkasmus’ versetzte die Erinnerung an die SMS von Max ihr einen leichten Stich. Die alte Frage stieg in ihr auf – war ihre Karriere den Preis wert, den sie dafür zahlte?
„Ich wusste gar nicht, was für eine hohe Meinung du von Männern hast“, sagte Tariq. „Nach der Zeremonie heute Abend werde ich dich ausführen und dich so betrunken machen, dass du nicht mal mehr deinen eigenen Namen weißt.“
„Klingt vielversprechend.“
„Das ist es doch, was ihr Yankees tut, oder? Ausgehen und – wie nennt ihr das noch mal – euch total zulaufen lassen?“
Sie schnalzte mit der Zunge. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Außerdem trinkst du doch überhaupt nicht.“
„Aber ich
kaufe
die Drinks. Ich nehme dich nachher mit in den Club Sillies.“
Sophie wusste, dass sie mitgehen würde und alle Frauen neidisch auf sie wären. Der Club Sillies war der angesagteste Nachtclub Den Haags und zählte Europas Elite zu seinen Gästen. Wo auch immer Tariq auftauchte, drehten sich alle nach ihm um. Er war elegant und strahlte eine unterschwellige Traurigkeit aus. Die Traurigkeit war echt, aber nur wenige Menschen kannten den Grund dafür. Tariq hatte in Oxford studiert und war einer der Topanwälte in der Welt. Jede wache Minute seines Lebens widmete er dem Gesetz. Doch als schwuler Mann und Saudi hatte er jeden Tag zu kämpfen. In seinem Heimatland stand auf gleichgeschlechtliche Beziehung die Todesstrafe.
„Wie auch immer“, meinte Sophie. „Danke für das Angebot, aber ich sollte hiernach direkt nach Hause fahren. Ich habe noch Arbeit …“
„Ja, Allah verhüte, dass du irgendetwas hast, was einem Leben ähnelt.“
„Ich habe ein Leben.“
„Du hast Arbeit – bei Gericht, im Büro und auf Reisen –, und dann hast du Schlaf. Ach ja, und du hast diesen fürchterlichen Sport.“
„Der ist nicht fürchterlich. Schwimmen ist gut für mich.“ Sie stand eigentlich ständig im Training für irgendeinen Wettkampf. Zwar wurde sie nie Erste, kam aber immer ins Ziel, auch wenn die Distanz noch so unglaublich schien.
Tariq, dessen einzige sportliche Betätigung darin bestand, den Knopf für den Fahrstuhl zu drücken, kam ihr Sport wahnsinnig gefährlich vor.
„In einem Neoprenanzug durch eiskaltes Wasser zu paddeln ist verrückt. Du brauchst ein wenig Spaß, meine Blume, ein Leben außerhalb der Arbeit. Und glaub nicht, dass ich nicht wüsste, wieso du dich weigerst, ein wenig lockerer zu werden. Spaß zu haben und das Leben zu genießen würde deiner selbst auferlegten Buße widersprechen.“
„Du hast doch gar keine Ahnung vom Büßen.“
„Schuld ist keine exklusive Domäne der Christen“, merkte er an. „Du fühlst dich wegen deiner Kinder schuldig, also versagst du
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