Was der Winter verschwieg (German Edition)
Deutschland fallen. Er ruschelte ein wenig umher und verzog das Gesicht. Sophie beobachtete ihn ein paar Minuten. Machte er in die Windel, oder langweilte er sich? Da sie keine weiteren Anzeichen für Ersteres erkennen konnte, nahm sie an, ihm war langweilig. Sie konnte es ihm nicht verübeln; sonderlich interessant war es sicher nicht, den aufmerksamen Zuhörer für die eigene Oma zu spielen.
Vorsichtig hob sie ihn hoch und ging federnden Schrittes von Zimmer zu Zimmer. Daisy war immer noch ein Teenager, das sah man daran, wie sie ihren Haushalt führte. Alles war schnell und ohne große Beachtung erledigt worden. Und nun? dachte Sophie. Die Welt würde nicht untergehen, nur weil ein Berg Wäsche noch nicht zusammengelegt war. Sie blieb stehen und schaute aus dem Fenster. Dann setzte sie sich Charlie so auf die Hüfte, dass er auch hinaussehen konnte. Vor ihren Augen breitete sich eine winterliche Märchenlandschaft aus. Alles war in unberührtes Weiß gehüllt. Der Himmel war schwer und grau, und dicke Wolken hingen wie gerunzelte Brauen am Horizont.
„Daisy hat mir gesagt, dass du gerne im Schnee spazieren gehst. Natürlich musst du ungefähr neun Lagen Kleidung anziehen und eingemummelt werden wie ein Eskimo. Ich denke, wir bleiben heute lieber drin.“
Der Nachmittag zog sich lang und leer dahin. Charlie zeigte absolut kein Interesse daran, ein Nickerchen zu machen, nicht einmal nach zwei Fläschchen und genauso vielen neuen Windeln. Sophie beschloss, sich um den von ihr aufgestellten Zeitplan keine Sorgen zu machen. Das war Teil der Herausforderung, die sie sich selbst auferlegt hatte. Die alte Sophie würde schon längst panisch durch die Kinderbücher blättern und nachschlagen, was zu tun war, wenn das Kind nicht schlafen wollte. Die neue Sophie passte sich einfach Charlies Rhythmus an. Es war sehr erhellend, mit jemandem zusammen zu sein, der so absolut im Hier und Jetzt lebte. Jemand, für den der Anblick der eigenen Hände, die vor seinem Gesicht hin und her schwebten, eine Offenbarung war. Für ihn war jeder Augenblick mit einer neuen Entdeckung erfüllt.
„Du bist sehr Zen“, sagte sie zu ihm. „Ich hab immer gedacht, ich muss los, irgendwas tun, irgendwo hingehen. Aber du, du bist einfach nur froh, da zu sein. Das scheint für dich wirklich gut zu funktionieren.“
Sie merkte, dass es sie überhaupt nicht störte, dass sie bisher nichts von ihrem Tagesplan hatte umsetzen können. Vielleicht, dachte sie, ist die Tatsache, ein Baby allein und ohne Hilfe von Ehemann oder Nanny aufzuziehen, einfach eine Einstellungssache.
„Wie läuft’s in Bilderbuchhausen?“, fragte Tariq.
Er hatte sich angewöhnt, sie ein paarmal pro Woche anzurufen. Sophie wusste, dass er sie vermisste, aber dahinter steckte noch mehr. Er machte sich Sorgen.
„Hervorragend“, sagte sie. „Mir geht’s gut. Alles läuft super. Du solltest mich mal besuchen kommen und dich persönlich davon überzeugen.“
„Amerika macht mir Angst.“
„Dann musst du dich wohl auf mein Wort verlassen. Ich weiß nicht, warum es so schwer für dich ist, zu verstehen, dass ich mich in einer Kleinstadt niedergelassen habe und mir ein neues Leben aufbaue.“
„Ich denke, du kannst alles, was du dir in den Kopf setzt. Aber – ich weiß, dass du das nicht hören willst – du hast noch nicht einmal angefangen, das zu verarbeiten, was in jener Nacht geschehen ist.“
„Ach, bist du jetzt mein Psychiater?“
„Nein, Sophie, aber dein Freund. Jemand, der dich liebt.“
Sie hielt sich den Telefonhörer ans Ohr und wanderte vor dem großen Fenster in ihrer Hütte auf und ab. „Ich weiß deine Besorgnis sehr zu schätzen, aber mir geht es gut.“ Sie blieb stehen. „Ich habe mich mit Brooks Fordham getroffen.“
„Dem Reporter?“
„Ja. Es geht ihm besser. Er hat sich ein Jahr Auszeit von der Zeitung genommen und will über das schreiben, was passiert ist.“
„Natürlich will er das. Ist das der einzige Grund, warum er dich angerufen hat?“
Sie überlegte. „Schwer zu sagen.“
„Hast du immer noch Albträume?“
„Ja. Außer …“ Es hatte eine Gelegenheit gegeben, da hatte sie keine gehabt. Und das war, als sie mit Noah geschlafen hatte. „Viele Menschen haben Albträume“, versuchte sie schnell abzulenken. „Das bedeutet noch lange nicht, dass sie zusammenbrechen.“
„Aber nicht sonderlich viele Leute haben durchgemacht, was du durchgestanden hast.“
Einen Moment lang schaute sie reglos aus dem Fenster. Es
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