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Was die Tiere im Park erlebten

Was die Tiere im Park erlebten

Titel: Was die Tiere im Park erlebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dann
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und zerstreuten sich in alle Richtungen. »Hm, das war ja ein richtig philosophischer Abend«, meinte der Waldkauz bei sich, als er geräuschlos zu seinem Nest flog.
     

 
    Das erbarmungslose Winterwetter hielt an, das alte Jahr ging in das neue über, ohne daß eine Wetterbesserung eintrat. Die Vögel flogen regelmäßig zum Abfallhaufen und fanden dort sogar Fleisch — zuweilen weggeworfene Würstchen und Speck oder anderes — als wertvolle Ergänzung dessen, was die Fleischfresser im Hirschpark fanden. Nachdem die unmittelbare Gefahr des Verhungerns gebannt war, schöpften die Tiere neuen Mut und vertrauten darauf, daß sie nun nur noch bis zum Eintreten wärmeren Wetters ausharren müßten.
    Im übrigen aber ging es ihnen nicht besser als früher. Sie konnten sich einfach nicht an die grimmige Kälte gewöhnen. Dabei wollte und wollte es nicht wärmer werden. Auch die Schneestürme und Schneefälle, die mit schrecklicher Regelmäßigkeit über sie kamen, blieben eine Qual. Doch sie alle hatten gelernt zu leiden, ohne zu klagen.
    Und dann, als die Hoffnung wuchs, daß das Ende des Winters bevorstand, entstand eine vollkommen neue Bedrohung. Der Wildhüter wurde krank und mußte ins Krankenhaus. Zur gleichen Zeit verschwand die Rote — wahrscheinlich zu einem anderen Wohltäter. Das Häuschen stand nun leer, und jetzt konnten die Menschen den Tierpark betreten. Als die Bewohner der Umgebung davon hörten, dauerte es nicht lange, und Gruppen von Jungen mit Schlittschuhen und Schlitten stürmten den Hirschpark, störten den Frieden und die Ruhe und bedrohten die Freiheit seiner Bewohner. Aber was noch schlimmer war: nachts kamen die Wilddiebe.
    Die ersten Schüsse konnte man eines Abends hören, als der Fuchs und die Füchsin gerade jagten. Sie blieben bewegungslos stehen, witterten mit hoch erhobenen Nasen und spitzten die Ohren nach jedem leisen Geräusch.
    »Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte der Fuchs und blickte seine Gefährtin an. Sie warteten. Ein neuer Schuß bewies ihnen, daß sie recht gehabt hatten, und sie gingen hastig in Deckung.
    Tief im Gebüsch lauschten sie mit wild klopfendem Herzen und flach auf die gefrorene Erde gepreßten Körpern. Bis zu ihrem Bau war es weit. Die Sekunden und Minuten vergingen wie Ewigkeiten, zerrten an ihren Nerven. Schüsse waren nicht mehr zu hören, aber sie erblickten zwei dunkle Gestalten, die wie Schatten über den Schnee huschten, keine zwanzig Meter von der Stelle entfernt, wo sie versteckt lagen. Instinktiv preßten sie nun auch ihre Köpfe gegen die Erde, ein schwacher Versuch, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Aber sie konnten erkennen, was die Gestalten trugen, und ihnen stockte der Atem.
    »Ein Hirsch!« flüsterten sie sich leise zu.
    »Und auch noch ein großer«, zischte der Fuchs, als er sah, wie schwer die Männer sich taten. »Das arme Tier.«
    »Gibt es denn nichts, was diese Menschen zurückhält?« fragte die Füchsin wütend. »Sie wissen doch, daß der Park der Erhaltung der wilden Tiere dient.«
    »Vor allem wurde er als Tierpark zum Schutz der Weißen Hirsche geschaffen, genau der Tiere, die sie jetzt abschießen«, erinnerte sie der Fuchs.
    »Wo ist nur unser Wildhüter geblieben?« jammerte die Füchsin.
    »Das werden wir nie herausbekommen«, antwortete der Fuchs. »Aber es ist schon genug, daß wir wissen, daß er nicht da ist und wir alle schutzlos sind.«
    »Die Hirsche müssen geradezu in Panik sein«, meinte die Füchsin. »Sie kennen das doch nicht: Schüsse und Gejagtwerden. Aber warum jagt man sie?«
    »Sie sind seltene Tiere. Wer weiß, welchen Wert ihr Fell für den Menschen hat, der es besitzt?«
    »Können wir also ruhig sein? Wenn die Menschen die Hirsche schießen, heißt das, daß die anderen Tiere nicht in Gefahr sind?«
    Der Fuchs gab ein hohles Lachen von sich. »Nach meiner Erfahrung sind alle Tiere in Gefahr, wenn man dem Menschen ein Gewehr in die Hand gibt.«
    »Was meinst du? Ob sie wiederkommen?« fragte die Füchsin.
    »Solange sie wissen, daß der Wildhüter nicht aufpaßt, müssen wir mit ihnen rechnen«, war die bittere Antwort.
    Und er behielt recht. Obwohl in der folgenden Nacht keine Schüsse zu hören waren, kamen sie in der darauffolgenden wieder. Die Hirsche waren außer sich. Anders als ihre Verwandten in den ungeschützten, wilden und unzugänglichen Gebieten des Landes, konnten sie sich nirgendwo verbergen; es gab keine Zuflucht. Was eine Stätte des Friedens gewesen war, wurde für sie

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