Was die Tiere im Park erlebten
ich gehe schon«, sagte der Turmfalke verächtlich. »Ich kann bei Tag fliegen. Niemand wird einem in der Luft schwebenden Falken Beachtung schenken.«
»Habe ich etwa gesagt, daß ich nicht will«, fuhr ihn der Waldkauz an. »Wenn du nicht so voreilig gewesen wärst, hätte ich mich schon angeboten.«
»Du kannst es ja nur nicht vertragen, wenn man etwas von dir fordert«, murmelte der Turmfalke. »Du aufgeblasener, alter...«
Ein schauerlicher Schrei vor dem Bau unterbrach ihn.
»Was um Himmels willen ist das?« rief er.
»Hast du noch nie einen Hasen schreien hören, den es erwischt hat?« fragte das Wiesel.
»Ein Hasel « riefen alle, und der Fuchs und der Dachs rasten zum Ausgang. Die anderen hinterher. Draußen rochen sie Blut, und der Fuchs hielt die Nase in die scharfe, eisige Luft. »Dorthin!« rief er. Ein Stück weiter fanden sie einen Blutfleck im Schnee und eine Blutspur. Sie gingen ihr nach, und schließlich fanden sie, was sie suchten. Unter einem Stechpalmenbusch machte sich ein Hermelin an dem schlaffen Körper eines jungen Hasen zu schaffen. Erschreckt blickte es auf, als die Gruppe sich näherte, schnappte schnell seine Beute und wollte sich davonmachen.
»Du brauchst nicht wegzulaufen«, sagte der Fuchs. »Wenn das einer unserer Freunde war, den du getötet hast, ist es sowieso zu spät. Und wenn nicht: wir brauchen kein Fressen.«
»Ich glaube, es ist ein Junghase aus unserer Hasenfamilie«, meinte das Wiesel.
»Auch ich muß fressen«, verteidigte sich das Hermelin mit unnatürlich schriller Stimme. »Ich jage, was ich bekomme. Ich wollte niemandem wehtun.«
»Das ist das Gesetz der Wildnis«, antwortete der Dachs. »Keine Angst, wir tun dir nichts.« Er wandte sich zu den anderen. »Ich habe diesen Burschen schon einmal getroffen«, erklärte er. »Auch er hat, wie wir, Mühe, am Leben zu bleiben.«
»Natürlich«, sagte der Fuchs. »Gerade wir haben keinen Grund, ihn anzuklagen.«
»Ach, es ist eine schreckliche Welt«, murmelte die Füchsin. »Unser kleiner Freund hier glaubte, er wäre in Sicherheit, und fand dann dieses Ende.«
Das Hermelin blickte von einem zum anderen, es war sich noch immer nicht sicher, was es tun sollte. Am liebsten wäre es geflohen.
»Ich sehe da keinen Unterschied«, sagte der Waldkauz wegwerfend. »Genausogut hätte der Winter ihn töten können.«
»Für die meisten von uns hat jede Heimat ihre Gefahren«, bemerkte der Fuchs. »Damit müssen wir nun einmal leben. Und doch, mein Freund, wünschte ich«, fuhr er fort und blickte das Hermelin an, »du hättest woanders gejagt.« Jetzt fühlte sich das Hermelin sicher und wurde kühn. »Und ihr Füchse — jagt ihr etwa nicht? Wohin geht denn ihr, wenn ihr Futter braucht?«
»Ja, ja, du hast recht, wir jagen überall — genau wie du.«
»Einen solchen Winter habe ich noch nie erlebt«, seufzte das Hermelin. »Meine Gefährtin ist schon tot. Und an eurer Magerkeit sehe ich, daß ihr genauso leidet. Nur der Dachs scheint mir wohlgenährt.«
Etwas unbehaglich wetzte der Dachs hin und her.
»Ja natürlich! Dich habe ich doch schon einmal gesehen«, rief das Hermelin. »Damals warst du nicht so dick. Du hast wohl mehr Glück gehabt als wir anderen.«
»Wenn eine böse Verletzung Glück genannt werden kann, dann hast du recht«, erwiderte der Dachs geheimnisvoll. Das Hermelin blickte verständnislos in die Runde.
»Der Wildhüter hat ihn gefunden und gepflegt«, erklärte das Wiesel.
»Eine Art Zunahmediät«, fügte der Waldkauz boshaft hinzu. »Schon gut, schon gut«, rief der Dachs. »Darf ich das denn niemals vergessen? Wäre es euch lieber gewesen, wenn ihr mich steifgefroren und tot aufgefunden hättet?«
»Rede keinen Unsinn, Dachs«, fuhr ihn der Waldkauz an. »Niemand hat sich mehr über deine Wiederherstellung gefreut als ich.«
»Wie lange muß ich dann noch deine Sticheleien ertragen?« fragte der Dachs irritiert.
»Du liebe Güte«, lächelte das Hermelin. »Das scheint ja zwischen euch ein richtiger Zankapfel zu sein.«
»Lassen wir es dabei«, schlug der Fuchs vor, »und lassen wir unseren Freund in Ruhe fressen. Ich hoffe nur, daß der Hase nicht in der Nähe ist und mitbekommen hat, was ich gesagt habe. Er würde mir nie verzeihen.«
»Und ich werde mich in Zukunft bemühen, diese Gegend zu meiden«, versprach das Hermelin. »Ihr seid mehr als nett zu mir gewesen.«
»Leben und leben lassen«, entgegnete der Fuchs. »Schließlich gehört der Park uns allen.«
Sie brachen auf
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