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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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genervter Stimme. »Eine Armbanduhr mit gelbem Ziffernblatt und breitem Lederarmband. Eigentlich war es Sunnys gewesen, aber sie wollte sie nicht mehr. Ich fand sie witzig. Aber so, wie Snoopy seine Arme bewegte, war es schwierig, die genaue Uhrzeit festzustellen. Deshalb kann ich nur sagen, es war kurz vor fünf.«
    »Sie saßen also da vor Karmelkorn?«
    »Ja, am Rand eines Springbrunnens. Es war zwar kein Wunschbrunnen, aber die Leute hatten trotzdem Münzen hineingeworfen. Ich erinnere mich, wie ich überlegt habe, was wohl passieren würde, wenn ich sie herausfischen würde, ob ich deshalb Ärger bekommen würde.«
    »Aber Sie sagten doch, Sie wären so brav und artig gewesen.«
    »Selbst brave und artige Mädchen denken an so etwas. Ich würde sogar sagen, es ist typisch für uns. Wir denken ständig über Dinge nach, die wir uns nicht zu tun trauen, und machen uns bewusst, wo die Grenzen verlaufen, damit wir bis dahin vordringen und dann Unschuld vorschützen können.«
    »War Sunny mustergültig?«
    »Nein, sie war etwas Schlimmeres.«
    »Was war das denn?«
    »Jemand, der schlecht sein wollte und nicht wusste, wie.«

    19:10 Uhr
    Kay hatte Jane Eyre durch – Mein teurer Leser, ich heiratete ihn, er war blind gewesen, was hatte er denn für eine andere Wahl? Wahrscheinlich lag noch ein Buch im Kofferraum ihres Wagens, aber sie war sich nicht sicher, ob sie wieder reinkam, wenn sie das Gebäude verließ. Sie konnte jemanden darum bitten, aber sie spürte diese seltsame pubertäre Gehemmtheit, die sie nie ganz abgelegt hatte.
    Der spontane Abstecher in die Mall hing ihr noch nach. Sollte sie jemandem davon erzählen? Aber alles, was sie an diesem Samstagabend erwartete, war ein leeres Haus.
     
    19:35 Uhr
    »Möchten Sie etwas zu trinken?«
    »Nein.«
    »Weil ich gern etwas trinken möchte. Ich bin gleich wieder da, okay? Ich hole mir nur was zu trinken. Gloria?«
    »Nein danke.«
    Allein im Raum, sagte die Rechtsanwältin zu ihrer Mandantin: »Sie hören mit, nur damit Sie es wissen. Wenn wir uns unter vier Augen unterhalten sollen, müssen Sie es nur sagen.«
    »Ich weiß schon, das ist okay.«
     
    19:55 Uhr
    »Also, wo waren wir stehen geblieben?«
    »Sie haben sich was zu trinken geholt.«
    »Nein, ich meine, wo waren Sie, als ich hinausgegangen bin? Ach so, am Rand des Springbrunnens. Sie haben über die Münzen nachgedacht.«
    »Ein Mann tippte mir auf die Schulter …«
    »Zeigen Sie mir, wie.«

    Nancy setzte sich auf den Rand des Tisches zwischen ihnen. »Ich bin jetzt Sie. Kam er von hinten? Von welcher Seite? Zeigen Sie’s mir.«
    Sie trat von hinten an Nancy heran und hieb ihr fest auf die Schulter, fester, als nötig gewesen wäre.
    »Also haben Sie sich umgedreht und diesen Mann gesehen. Wie sah er aus?«
    »Für mich war er einfach ein alter Mann. Kurz geschorene Haare, grau-braun. Sah völlig normal aus. Er war über fünfzig, aber das habe ich erst später herausgefunden. Damals dachte ich nur, der ist alt.«
    »Hat er etwas gesagt?«
    »Er hat mich gefragt, ob ich Heather Bethany sei. Er kannte meinen Namen.«
    »Und kam Ihnen das seltsam vor?«
    »Nein, ich war ja ein Kind. Die Erwachsenen wussten immer irgendwas über mich, wovon ich nichts wusste. Erwachsene waren wie Gott. Damals zumindest.«
    »Kannten Sie ihn?«
    »Nein, aber er hat mir gleich darauf seine Dienstmarke gezeigt, hat mir gesagt, er sei Polizist.«
    »Wie sah die Dienstmarke aus?«
    »Keine Ahnung, wie eine Dienstmarke eben. Er trug keine Uniform, aber er hatte eine Dienstmarke, und deshalb hätte ich niemals bezweifelt, was er gesagt hat.«
    »Was war das?«
    »›Deine Schwester ist verletzt, komm mit.‹ Also folgte ich ihm den Flur entlang, wo die Toiletten waren. Dort gab es einen Notausgang, aber es war ja ein Notfall, deshalb wunderte ich mich nicht, dass wir dort hinausgingen.«
    »Wurde dadurch der Alarm ausgelöst?«
    »Der Alarm?«
    »Wenn man den Notausgang benutzt, ertönt normalerweise ein Alarmsignal.«

    »Ich kann mich nicht daran erinnern. Vielleicht hatte er ihn ausgeschaltet. Vielleicht war da auch keiner. Ich weiß es nicht.«
    »Der Gang war … wo?«
    »Zwischen dem Atrium in der Mitte und Sears. Dort waren auch die Toiletten und die Räume, wo sie die Interviews durchführten.«
    »Interviews?«
    »Kundenbefragungen. Sunny hat mir davon erzählt. Wenn man die Fragen beantwortete, konnte man fünf Dollar dafür kriegen. Aber man musste mindestens fünfzehn sein, deshalb haben sie mich nie

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