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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Junge war. Sie war seit fünfunddreißig Jahren bei der Fairfax Gazette und hatte bei der »Frauen-Beilage«, wie es damals noch hieß, angefangen. Von dort hatte sie sich ins Nachrichtenressort durchgeboxt, wo sie seit zwanzig Jahren für Bildung und Erziehung zuständig war. Ihr Dienstalter war unübertroffen, wenn auch nur, weil vielversprechende Talente selten mehr als zwei Jahre bei dem Blatt blieben. Sie war zäh wie Leder, aber sie verfiel jedes Mal in eine frühkindliche, völlig hilflose Pose, wenn ihr Computer sie im Stich ließ oder vielmehr wenn sie den Computer im Stich ließ und die einfachsten Schritte zum Sichern ihrer Arbeit nicht ausführte.

    »Wenn Sie alle paar Absätze F2 drücken, speichert der Computer eine Kopie ihrer Datei und aktualisiert sie immer wieder. Dieser Artikel ist nie gespeichert worden. Er existiert deshalb nicht für den Computer.«
    »Was meinen Sie damit, er existiert nicht für ihn? Er ist doch hier«, sagte sie und wies mit ihrer beringten Hand auf den Bildschirm. »Er war zumindest genau da«, verbesserte sie in Anbetracht der Tatsache, dass nichts auf dem Bildschirm zu sehen war. »Ich konnte ihn sehen. Diese Geräte taugen einfach nichts.«
    Barb meinte immer, Computer verteidigen zu müssen, so merkwürdig es den anderen auch vorkommen mochte. Die Gazette, die zu einer kleineren Zeitungsgruppe gehörte, zeichnete sich dadurch aus, zwar progressiv im Denken, aber knauserig beim Budget zu sein; eine Kombination, die ihnen diesen Dinosaurier von Redaktionssystem beschert hatte, eines, das nicht auf das Zeitungshandwerk zugeschnitten war. »Es ist nur ein Arbeitsmittel wie jedes andere. Zu Schreibmaschinenzeiten bekam man auch keinen Durchschlag, wenn man nicht vorher Kohlepapier dazwischenlegte. Wenn der Reiter nichts taugt, hat wohl das Pferd Schuld.«
    Die Redensart, die von ihrem Vater stammte, war ihr ganz plötzlich eingefallen, und dabei wurde ihr bang zumute. Sie hatte Angst, dass die leiseste Andeutung an früher sie aus der Bahn werfen könnte.
    »Was haben Sie da gesagt?« Mrs. Hennessey klang nicht mehr wie ein niedliches Kätzchen, sondern vielmehr wie eine wilde Löwin. »Sie impertinente …« An dieser Stelle fluchte sie etwas auf Deutsch oder Jiddisch, Barb wusste es nicht ganz genau. »Ich werde dafür sorgen, dass Sie gefeuert werden. Ich werde …« Sie sprang von ihrem Stuhl auf, stieg über die Papierstapel, mit denen sie eine provisorische Barriere um ihren Schreibtisch herum errichtet hatte, und rannte in das Eckbüro des Herausgebers. Sie zitterte am ganzen Körper, als ob Barb

    ihr Gewalt angedroht hätte. Selbst der feurig kastanienrote Haarknoten wackelte.
    Barb hätte sich vielleicht Sorgen gemacht, wenn sie nicht mindestens zweimal im Monat Zeugin ähnlicher Vorstellungen geworden wäre. Mrs. Hennessey tobte im Büro des Herausgebers herum, schüttelte die winzigen Fäuste und forderte Barbs Entlassung. Sie verließ wutschnaubend den Raum. Ein paar Sekunden später wurde Barb per E-Mail in sein Büro zitiert.
    »Vielleicht könnten Sie etwas mehr Taktgefühl ihr gegenüber aufbringen …«, hob Bagley, der Herausgeber, an.
    »Das versuche ich ja«, erwiderte Barb. »Ich versuche es wirklich. Bitten Sie sie doch auch, etwas taktvoller mit mir umzugehen. Sie behandelt mich wie ihr persönliches Dienstmädchen. Zugegeben, hin und wieder frisst der Rechner tatsächlich einen ihrer Artikel, aber die meisten Probleme rühren daher, dass sie sich weigert, die einfachsten Befehle korrekt auszuführen. Ich bin nicht ihr Kindermädchen.«
    »Sie ist eine« – er sah sich um, als ob er Angst hätte, jemand könnte mithören – »ältere Dame. Ein bisschen festgefahren. Wir werden sie nicht mehr ändern.«
    »Tanzt denn die gesamte Redaktion nur nach ihrer Pfeife?«
    Bagley, ein großer Mann mit rötlichem Haar, das im Alter eine Art Fanta-Orange angenommen hatte, verzog das Gesicht. »Das ist ziemlich starker Tobak, Barb. Jetzt hören Sie mir mal zu: Sie haben letzten Sommer hier angefangen und sich bisher, nett ausgedrückt, recht unorthodox verhalten. Ihre soziale Kompetenz ist …«
    Sie wartete neugierig darauf, wie er es nennen würde. Nicht vorhanden? Verkümmert? Aber er machte gar keine Anstalten, den Satz zu beenden.
    »Wir sind in höchstem Maße abhängig von Ihnen. Wenn das System abstürzt und Sie es wiederherstellen, sparen Sie uns Tausende von Dollar. Sie wissen das, und ich weiß das. Also
lassen Sie Mrs. Hennessey doch in dem Glauben,

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