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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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sie sei wichtig hier, sonst hängt sie uns noch einen Prozess wegen Altersdiskriminierung an. Entschuldigen Sie sich einfach bei ihr.«
    »Entschuldigen? Mich trifft aber gar keine Schuld.«
    »Sie haben sie eine beschissene Autorin genannt.«
    »Ich …?« Sie lachte. »Ich sagte nur: Wenn der Reiter nichts taugt, hat wohl das Pferd Schuld. Das ist ein altes Sprichwort. Ich habe mit keinem Wort ihre Texte erwähnt. Aber vielleicht stimmt es ja.« Barb dachte eine Weile darüber nach. Es war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen, den Inhalt dessen, was sie auf dem Bildschirm sah, zu beurteilen. Zuvor hatte sie in der Kleinanzeigenabteilung gearbeitet, dem Zeitungsgegenstück zu einem Warenhauskatalog. Ihr war noch nicht einmal bewusst gewesen, dass sie die Artikel tatsächlich gelesen hatte. Aber das hatte sie, und Mrs. Hennessey war tatsächlich eine beschissene Journalistin.
    »Sagen Sie ihr einfach, dass es Ihnen leidtut, Barb. Manchmal ist der zweckmäßige auch der richtige Weg.«
    Sie senkte den Kopf und warf ihm einen erbosten Blick zu. Wissen Sie eigentlich, was ich mit diesem System anstellen könnte? Ist Ihnen klar, dass ich das gesamte Unternehmen lahmlegen könnte? Nach der sechsmonatigen Probezeit hatte Bagley in ihrer Beurteilung geschrieben, dass sie »ihre Aggressionen noch in den Griff bekommen« müsse. Dabei hatte er überhaupt kein Recht, den Chef zu spielen, solange er keinen blassen Schimmer von dem hatte, was sie machte. Oh ja, sie war voller Wut, ganz zweifelsohne. Sie schürte sie jeden Abend wie ein Feuer und erkannte darin ihre größte Kraftquelle.
    »Und wer entschuldigt sich bei mir?«
    Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach: »Sehen Sie mal, ich gebe ja zu, dass Mrs. Hennessey eine Nervensäge ist. Aber sie hat Sie mit keiner Silbe beleidigt. Und sie behauptet, Sie hätten sie eine schlechte Journalistin genannt. Es ist insgesamt einfacher, wenn Sie sich entschuldigen.«

    »Einfacher für wen?«
    »Einfacher für alle«, sagte er. Was für ein Arschloch. »Also gut, einfacher für mich, und ich bin der Boss, stimmt’s? Deshalb sagen Sie ihr endlich, dass es Ihnen leidtut, und lassen Sie mich in Ruhe mit Ihrem Zickenterror.«
     
    Sie fand Mrs. Hennessey im Pausenraum, einem desolaten Kabuff mit Automaten und Plastiktischen.
    »Ich entschuldige mich«, sagte sie förmlich.
    Die Ältere neigte ähnlich steif den Kopf, eine Königin, die auf einen Bauern herabblickt. Das heißt, sie hätte auf Barb herabgeblickt, hätte sie nicht gesessen. »Danke.«
    »Es ist nur so eine Redensart.« Barb wusste nicht, was sie dazu veranlasste, weiterzureden. Sie hatte getan, was man ihr aufgetragen hatte. »Ich habe damit nichts über Ihre Arbeit aussagen wollen.«
    »Ich bin seit fünfunddreißig Jahren bei der Zeitung«, sagte Mrs. Hennessey. Sie hatte auch einen Vornamen – Mary Rose. Er tauchte bei ihren Artikeln auf, aber bei einer Unterhaltung fiel er nie. Sie war immer nur Mrs. Hennessey. »Ich habe länger bei dieser Zeitung gearbeitet, als Sie auf der Welt sind. Frauen wie ich haben Ihre Karriere erst ermöglicht. Ich habe als Einzige über die Rassentrennung berichtet.«
    »Ja? Das war ein großes Thema …« Sie unterbrach sich gerade noch rechtzeitig. Sie hätte beinahe gesagt: »Das war ein großes Thema, dort, wo ich herkomme.« Aber jetzt war sie Barbara Monroe aus Chicago, Illinois. Sie war dort auf die Mather-Highschool gegangen. Eine große Schule in einer großen Stadt war einfacher vorzutäuschen als eine kleine, weil bei so vielen Schülern immer mal wieder einer vergessen werden konnte. Aber sie war sich nicht sicher, ob Rassentrennung auch in Chicago eine wesentliche Rolle gespielt hatte. Wahrscheinlich. Doch warum sollte sie etwas aufs Spiel setzen, nur weil sie zu sehr ins Detail ging? »Das war ein Riesenthema in den Siebzigern.«

    »Oh ja, das war es, und ich war die Einzige, die darüber schrieb.«
    »Großartig.«
    Es hätte ehrlich beeindruckt klingen sollen, aber ihre Stimme verriet sie, wie so oft, und das Wort war ihr ein wenig zu verbittert, sarkastisch herausgerutscht.
    »Es war großartig. Es war etwas Sinnvolles, sinnvoller, als seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, an Maschinen herumzufuhrwerken. Bereits mein erster Artikel ist in die Geschichte eingegangen. Sie dagegen sind doch nichts weiter als ein Handwerker.«
    Die Beleidigung verfehlte ihr Ziel. Vielmehr brachte sie Barb zum Lachen. Es war geradezu lächerlich, dass dies Mrs. Hennesseys Vorstellung

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