Was die Toten wissen
College abgegangen und wieder zu ihren Eltern nach Ottawa zurückgekehrt, die nicht Miriams Collegefreund für die ganze Misere verantwortlich machten, sondern die Vereinigten Staaten per se. Sie waren nicht gerade begeistert gewesen, als Miriam ausgerechnet in den USA studieren wollte, und sie ahnten wahrscheinlich, dass dies nur der erste Schritt war; ihre Tochter würde Kanada und damit letztendlich auch sie für immer verlassen.
Jeff drückte Miriam aufs Bett. Das Letzte, was er von sich
gegeben hatte, war »Er muss noch eine Weile kalt stehen«; seitdem hatte sie bis auf ein leises Stöhnen nichts mehr von ihm gehört. Jetzt wirbelte er sie noch einmal herum, so locker, als würde er einen Pfannkuchen wenden, und vergrub sein Gesicht zwischen ihren Beinen. Miriam war dies immer unangenehm gewesen, noch etwas, wofür sie Dave verantwortlich machte. »Du bist Jüdin, stimmt’s?«, hatte Dave gleich beim ersten Mal gefragt, als er es bei ihr probierte. »Ich meine, ich weiß, dass du nicht strenggläubig bist, aber du stammst aus einer jüdischen Familie, oder?« Sie war so erstaunt, dass sie nur nicken konnte. »Ich finde die Mikwe ganz sinnvoll. Es gibt eine Menge, was mir bei deiner Religion nicht gefällt, aber eine sorgfältige Reinigung nach der Menstruation hat noch niemandem etwas geschadet.«
Dave hatte recht sonderbare antisemitische Ansichten, obwohl er immer darauf bestand, dass er einer gewissen Gesellschaftsschicht gegenüber Vorbehalte hätte, nicht gegen den jüdischen Glauben an sich – was daher rührte, dass er als armer Schlucker in einer reichen Umgebung aufgewachsen war. Miriam hatte sich daraufhin nicht gleich in Milchbäder geflüchtet, aber kurzzeitig war sie zu einer der weltgrößten Konsumentinnen von Hygienesprays und Intimspülungen geworden. Dann hatte sie einen Artikel darüber gelesen, dass diese ganzen Produkte Unsinn seien, Lösungen für ein Problem, das in Wirklichkeit gar keins war. Dennoch war sie nie ganz darüber hinweggekommen, dass sie womöglich ständig nach Blut roch. Wenn das tatsächlich der Fall war, machte es Jeff anscheinend nichts aus. Jeff, der all das darstellte, was Dave verachtete – ein reicher Jude aus Pikesville, Mitglied im Country Club, mit einem protzigen Haus und drei verwöhnten, aufsässigen Gören. Das war keine Übertreibung von Miriam. Sie war den Kindern schon einmal im Büro begegnet, und sie waren in der Tat unausstehlich gewesen. Aber sie hatte sich Jeff ja nicht danach ausgesucht, dass er das perfekte
Gegenteil von Dave war. Sie hatte ihn schlicht und ergreifend ausgewählt, weil er da war und sie begehrte, und sie genoss es so sehr, begehrt zu werden, dass sie ihn unmöglich abweisen konnte.
Es war extrem riskant gewesen, sich heute zu treffen. Ihre Ehepartner waren nicht blöd, ihrer zumindest nicht. Wenn Dave morgen die Sonntagszeitung aufschlug, würde ihm wahrscheinlich als Erstes auffallen, wie spärlich der Anzeigenteil für Immobilienverkäufe ausfiel, was an den Osterfeiertagen lag, und er würde sich dann fragen, warum Miriam wohl am Wochenende im Maklerbüro gebraucht wurde, wo es doch gar nichts zu tun gab. Die ganze Angelegenheit war riskant, weil weder Miriam noch Jeff sich scheiden lassen oder ihr Leben verändern wollten. Na ja, wenigstens Jeff vermutlich nicht. Miriam war sich nicht mehr ganz so sicher, was sie eigentlich wollte.
Jeff wurde ungeduldig. Normalerweise kam sie schnell, fast schon zu schnell, aber heute konnte sie ihren Kopf einfach nicht ausschalten. Und Jeff, der im Allgemeinen sehr zuvorkommend war, würde ihre Bedürfnisse irgendwann ignorieren und sich seinem eigenen Vergnügen widmen, wenn es bei ihr nicht bald so weit war. Sie konzentrierte sich auf die Stelle, passte ihre Bewegungen denen seines Mundes an, nahm eine günstigere Position ein, und bald spürte sie es kommen. Ihre Orgasmen mit Jeff hatten etwas von einer Glas zerberstenden Sopranstimme; es war die Anzahl der Schwingungen, nicht die Höhe selbst, die schließlich ihren Widerstand brach. Danach war sie zu nichts mehr zu gebrauchen, konnte sich kaum noch rühren, aber Jeff war daran gewöhnt. Er rückte ihre Stoffpuppenglieder unter sich zurecht und drang ziemlich brutal in sie ein, pumpte, bis auch er kam.
Was nun? Normalerweise zogen sie sich jetzt wieder an, nicht dass sie sich bisher je ganz ausgezogen hätten, und gingen wieder ins Büro zurück oder nach Hause oder sonst wohin. Jeff
nahm die Flasche Wein aus dem Plastikkübel.
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