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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Berg mit verkrustetem Geschirr vorfinden. Ihrem Vater kam es erst gar nicht in den Sinn, den Abwasch zu machen, da war sich Sunny sicher, obwohl er im Vergleich zu anderen Vätern emanzipiert war. Die Kinder in der Gegend nannten ihn den »Hippie«, wegen seines Ladens, seiner Haare und seines VW-Busses, der einfach nur taubengrau war und nicht im Entferntesten psychedelisch. Ihr Vater kochte zwar, wenn ihm danach war, und behauptete, dass er die Entscheidung
seiner Frau, als Maklerin zu arbeiten, unterstützte, doch um bestimmte Dinge im Haushalt kümmerte er sich schlicht nicht.
    Wenn er jeden Tag abspülen müsste , dachte Sunny, während sie die Pfannkuchenreste von den Tellern kratzte, würde er sich nicht so entschieden gegen die Anschaffung einer Spülmaschine sperren . Sie hatte ihm Anzeigen für Geräte gezeigt, die nicht extra eingebaut werden mussten – man konnte sie einfach nach Benutzung nach hinten auf die überdachte Veranda schieben -, aber ihr Vater hatte die Maschine als ökologisch bedenklich bezeichnet, weil sie zu viel Wasser und Strom verbrauchte. Währenddessen rüstete er jedoch ständig seine Stereoanlage nach. Sein Arbeitszimmer sei schließlich ein Ort der Kontemplation, wies er Sunny zurecht, als sie sich einmal darüber beschwerte; hier widme er sich schließlich dem Agnihotra, dem Sonnenaufgangs- und -untergangsritual des Fünfachen Pfades, was keine Religion sei, sondern etwas viel Besseres, Sunnys Vater zufolge.
    »Hast du mir nachspioniert?«, fragte Sunny ihre Schwester, die vor sich hin summend eine Locke um ihren Finger drehte. Ihre Mutter stellte oftmals fest, dass sie eigentlich ihre Namen tauschen sollten, dass Heather immer glücklich und zufrieden war, Sunny hingegen pikste wie eine Distel. »Woher wusstest du denn sonst, dass ich mit dem Bus zur Mall wollte?«
    »Du hast den Fahrplan auf deinem Schreibtisch liegen lassen, die Abfahrtzeiten waren markiert.«
    »Was hattest du in meinem Zimmer zu suchen? Du weißt doch, dass du da nicht reinsollst.«
    »Ich hab meine Haarbürste gesucht. Du benutzt sie immer.«
    »Stimmt gar nicht.«
    »Egal«, Heather zuckte ungeniert mit der Schulter. »Ich habe den Fahrplan gesehen und geraten.«
    »Sobald wir dort sind, trennen sich unsere Wege. Komm mir bloß nicht hinterher, verstanden?«

    »Als ob ich dir hinterherlaufen wollte. Du gehst ja sowieso nur zu Singer und schaust dir Schnittmuster an, und das, obwohl du letztes Jahr in Hauswirtschaft fast durchgefallen wärst.«
    »Die Nähmaschinen in der Schule sind alle kaputt und abgenutzt. Die Nadeln brechen immer ab.« Dies war die Entschuldigung, die ihrer Mutter eingefallen war für Sunnys schlechte Handarbeitsnote, und ihr war das ganz recht. Sie hätte sich nur gewünscht, es hätte für ihre anderen nicht so guten Noten ähnliche Entschuldigungen gegeben. Verträumtheit war noch die netteste Erklärung, die ihren Eltern eingefallen war. Sie schöpft ihr Potential nicht aus , hatte ihre Klassenlehrerin vermerkt. »Das Etuikleid, das ich zu Hause mit Mum zusammen genäht habe, war völlig in Ordnung«, erinnerte Sunny ihre Schwester.
    Heather warf ihr einen wissenden Blick zu. Im Grunde war gegen das Kleid nichts einzuwenden; Sunny hatte sogar die komplizierten Dinge – die Abnäher am Oberteil, das Zuschneiden des Materials mit dem fortlaufenden Muster – prima hingekriegt. Aber es gab vieles, was Heather einfach intuitiv wusste und Sunny partout nicht schnallte. Heather hätte niemals den schweren Musselinstoff mit dem Maiskolbenmotiv in senkrechten Reihen dafür ausgesucht. Rückblickend war es so vorhersehbar gewesen, dass Sunny damit aufgezogen werden würde. »Popcorn«, »Körnerfresserin«, »Fetter Kolben« riefen sie ihr hinterher. Dabei war sie sich an jenem Morgen so hübsch vorgekommen; sie hatte die Haare zu Zöpfen zusammengebunden, mit grünen, farblich zu den Hülsen der goldglänzenden Kolben passenden Schleifen. Sogar ihre Mutter fand sie hübsch. Aber in dem Augenblick, als sie in den Bus stieg – noch bevor ihr die anderen »Popcorn« und »Körnerfresser« hinterherriefen -, wusste Sunny bereits, dass das Kleid ein Missgriff gewesen war. Es half auch nichts, dass die Abnäher, die genau richtig saßen, dafür sorgten, dass das Oberteil eng an ihrem noch kleinen Busen anlag.

    »Auf jeden Fall sollst du dort nicht hinter mir herlaufen. Dad hat gesagt, dass er uns um halb sechs vor dem Eingang abholt. Wir treffen uns zwanzig nach fünf bei

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