Was die Toten wissen
»Kein Korkenzieher«, sagte er amüsiert über seinen eigenen Lapsus. Völlig lässig, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, schlug er den Flaschenhals am Waschbeckenrand auf, schenkte die Wassergläser voll und fischte ein paar Glasstückchen heraus, die mit dem Wein über den abgebrochenen Hals geflossen waren.
»Es macht Spaß, es mit dir im Bett zu treiben«, sagte Jeff.
»Unser erstes Mal war auch in einem Bett«, sagte Miriam.
»Das zählt nicht.«
Warum denn nicht?, wunderte sie sich, fragte jedoch nicht weiter nach. Das erste Mal hatte sich im Haus eines Kunden abgespielt, und die Entweihung der ihnen anvertrauten Räume hatte ihr mehr zu denken gegeben als der eigentliche Ehebruch. Als Jeff sie bat, sich das neue Objekt anzusehen, wusste sie sofort, dass sie dort Sex haben würden, schützte aber Naivität vor. Die Frau gibt immer den Ton an , hatte ihre Mutter sie belehrt, als sie einst nach der Ursache für Miriams Nervenzusammenbruch forschte. Aber Miriam gefiel die Vorstellung, dass Jeff das Heft in der Hand hatte. Bei ihm fühlte sich Miriam zart und leicht wie eine Feder, fast als ob sie wieder in ihren Jungmädchenkörper geschlüpft wäre. Sie hatte auch im Alter nicht zugenommen, aber sie war etwas rundlicher geworden, eine Tatsache, mit der sie gut leben konnte, bis ihr die Figur ihrer Töchter ins Auge stach, so unglaublich rank und schlank.
»Und nun?«, fragte sie.
»Meinst du mit ›nun‹ just in diesem Augenblick? Oder morgen, nächste Woche, in einem Monat?«
Sie war sich nicht sicher. »Beides.«
»Nun, hier, heute, werden wir noch einmal Sex haben. Vielleicht noch zweimal, wenn es gut läuft. Morgen in der Kirche, wenn du Jesu angebliche Auferstehung preist …«
»Ich geh nicht in die Kirche.«
»Ich dachte …«
»Er hat mich nie darum gebeten, zu konvertieren. Und er
wollte auch nie, dass die Mädchen in irgendeinem bestimmten Glauben erzogen werden. Gegen Weihnachtsbäume und Ostereier hatte er nichts; mehr kirchliche Bräuche durften es aber nicht sein.«
Sie hatte eine stillschweigende Übereinkunft gebrochen, indem sie die Kinder erwähnte, und die Unterhaltung geriet ins Stocken. Miriam wusste nicht, wie sie das Thema anschneiden sollte, über das sie eigentlich reden wollte. Wie bringen wir diese Affäre am besten zu Ende? Wenn wir das nur machen, weil wir Spaß am Sex haben, lässt sich das Ganze dann ganz einfach stoppen? Oder werde ich mich nach dir verzehren, während du dich zu einer anderen aufmachst? Oder umgekehrt? Wie endeten Affären?
Ihre war just in diesem Augenblick dabei, zu Ende zu gehen, auf banale und zugleich erschütternde Weise, was Miriam allerdings erst im Nachhinein erfahren sollte. Dies war ihr Vermächtnis, ihr Zuvor, der Augenblick, zu dem sie immer wieder zurückkehren würde. Wenn Miriam versuchen würde, sich daran zu erinnern, wann sie das letzte Mal glücklich gewesen war, würde ihr immer wieder ein nicht ganz kaltes Glas Gallo einfallen, mit kleinen Glassplittern darin, und ein angestaubter Snickers-Riegel, der wie erwartet ziemlich fad schmeckte.
Kapitel 8
Das Wartehäuschen an der Bushaltestelle in der Forest Park Avenue kannte Sunny nur zu gut, seit fast drei Jahren stieg sie hier in den Schulbus. Aber an diesem Nachmittag betrachtete sie es auf einmal mit ganz anderen Augen. Obwohl der Unterstand einem ganz einfachen Zweck diente – nämlich Leute, die auf den Bus warteten,vor Nässe und Kälte zu schützen -, hatte sich dennoch jemand die Mühe gemacht, ihn mit ein paar Pinselstrichen
zu verschönern. Nun sah das Häuschen sogar recht ansehnlich aus. Das Dach war pastellgrün, ein Farbton, den ihre Mutter gern für die Vorsprünge am Haus gehabt hätte, ihrem Vater war das Grün allerdings zu dunkel, und ihr Vater, der Künstler in der Familie, hatte sich wie immer durchgesetzt. Die hellbeigen Ziegel waren naturbelassen, die Bank im selben Farbton gestrichen wie das Dach.
Die Jungs aus der Nachbarschaft hatten die Verschönerungsaktion offensichtlich nicht zu schätzen gewusst und mit Kreide und Farbe anzügliche Graffiti an die Wände gekritzelt. Irgendwer hatte versucht, das Schlimmste zu entfernen, aber ein paar hartnäckige Flüche und persönliche Beleidigungen waren trotzdem übrig geblieben. Heather studierte sie eingehend.
»Machen die jemals …«, begann sie.
»Nein«, sagte Sunny schnell. »Sie lassen mich in Ruhe.«
»Ach so.« Es klang fast, als ob Heather Sunny bemitleidete.
»Sie können mich nicht
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