Was die Toten wissen
keinen Zweifel gab. Er ließ sich aus, und Miriam stimmte ihm bei allem schweigend zu. Eine befriedigendere Lösung konnte er sich kaum vorstellen.
Er überflog den Lokalteil des Beacon . Die Bedeutung des Datums wurde mit keinem Wort erwähnt, aber das war auch nicht anders zu erwarten gewesen. Ein Jahr später gab es noch einmal einen Artikel und das Jahr darauf wieder einen, aber von da an nichts mehr. Es hatte ihn verwundert, als auch das fünfte Jahr nichts dazu erschienen war. Wann würden seine Töchter wieder von Bedeutung sein? Nach zehn Jahren, zwanzig? Zum silbernen Jahrestag ihres Verschwindens, zum goldenen?
»Die Presse hat alles getan, was in ihrer Macht stand«, hatte Willoughby erst letzten Monat gesagt, als sie einem Trupp zusahen, der auf einer alten Farm bei Finksburg Löcher aushob.
»Trotzdem hätte man es erwähnen können, die Tatsache, dass es passiert ist …« Das Land hier war wunderschön. Warum war er bloß nie zuvor in Finksburg gewesen? Die Autobahn war erst vor kurzem bis hierher ausgebaut worden. Vor der Erweiterung wäre es unmöglich gewesen, hier zu leben und in der Stadt zu arbeiten.
»Es läuft alles auf eine Verhaftung hinaus«, sagte Willoughby, während der Tag verging und immer mehr Löcher entstanden. »Jemand, der etwas weiß und es als Ass im Ärmel einsetzen will. Oder der Typ selbst. Es würde mich gar nicht wundern, wenn er wegen eines anderen Verbrechens bereits in
Haft sitzt. Es gibt eine Menge ungelöster Fälle – Etan Patz, Adam Walsh.«
»Das war alles später«, sagte Dave ungeduldig, als ob es um das Erstgeburtsrecht ginge. »Und die Eltern von Adam Walsh haben wenigstens die Leiche ihres Sohnes.«
»Sie haben einen Kopf«, bemerkte Willoughby, und sein Hang zur Pedanterie machte sich bemerkbar. »Den Körper hat man nie gefunden.«
»Wissen Sie was? Ich würde sonst was für den Kopf geben.«
Der Anruf wegen der Farm in Finksburg hatte so vielversprechend geklungen. Zum einen war es eine Frau gewesen, die angerufen hatte, und obwohl Frauen im Allgemeinen genauso verrückt wie Männer sein konnten, waren sie doch nicht so durchgeknallt, dass sie die Familie von zwei mutmaßlichen Mordopfern belästigen würden. Außerdem handelte es sich hier um eine Frau, die ihren vollen Namen angegeben hatte, eine Nachbarin. Ein gewisser Lyman Tanner hatte sich im Frühjahr 1975, kurz bevor die Mädchen verschwanden, in der Gegend niedergelassen. Sie erinnerte sich daran, dass er am frühen Morgen des Ostersonntags, einen Tag, nachdem die Mädchen vermisst wurden, sein Auto gewaschen hatte, was ihr seltsam vorkam, weil Regen angekündigt worden war.
Man hatte sie gefragt, warum sie sich nach acht Jahren noch daran erinnerte, berichtete Willoughby Dave.
»Ganz einfach«, hatte die Frau, Yvonne Yepletsky, erwidert. »Ich bin orthodox, rumänisch-orthodox, aber ich besuche die griechisch-orthodoxe Kirche in der Stadt, wie die meisten Rumänisch-Orthodoxen. Nach unserem Kalender ist Ostern an einem anderen Datum, und meine Mutter hat immer gesagt, an deren Ostern regnet es jedes Jahr. Und tatsächlich ist es meistens auch so.«
Dennoch war ihr die Merkwürdigkeit der Autowäsche erst vor ein paar Monaten aufgefallen, als Lyman Tanner starb und die Farm entfernten Verwandten hinterließ. Da war Yvonne
Yepletsky eingefallen, dass ihr Nachbar ganz in der Nähe der Security Mall gearbeitet hatte und dass er auffälliges Interesse an ihren eigenen Mädchen gezeigt hatte, die damals, als er neben ihnen einzog, noch Teenager waren. Es hatte ihm noch nicht einmal etwas ausgemacht, dass der alte Friedhof an sein Grundstück grenzte, was viele andere Interessierte vom Kauf abgebracht hatte.
»Und er machte viel Trara darum, dass er Getreide anpflanzen wollte, lieh sich einen Traktor und alles, um das Feld umzupflügen, aber dann hat er nie damit angefangen«, sagte Mrs. Yepletsky.
Die Polizei von Baltimore rückte mit dem Bulldozer an.
Der Trupp war gerade dabei, das zwölfte Loch auszuheben, als ein anderer Nachbar ihnen freundlicherweise mitteilte, dass Mrs. Yepletsky verstimmt sei, weil ihr Mann Mr. Tanners Land hatte kaufen wollen, dessen Erben aber nicht mitzogen. Die Yepletskys waren keine Lügner, sie glaubten die Geschichte, die sie über Tanner erzählten. Mit einem Mann, dessen Erben nicht zu einem guten Preis verkaufen wollten, musste ja schließlich etwas nicht stimmen. Er hatte sein Auto gewaschen, obwohl der Wetterbericht Regen angekündigt hatte. War das
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