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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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täglich sie am Bildschirm verbrachte. Aber diese neugewonnene Selbsterkenntnis empfand sie gar nicht als bedauernswert. Ganz im Gegenteil. Sie mochte Computer, ihre Logik und Ordnung. Sie hatte sich totgelacht über all die Bedenken, die hinsichtlich des Internets in den letzten Jahren vorgebracht worden waren – wie es dazu benutzt werden konnte, Minderjährige anzusprechen, wie sich darüber die Verbreitung von Kinderpornographie ausweitete, als ob die Welt so sicher gewesen wäre, bevor es Computer gab. Wenn ihre Verfehlungen mit einem Chat begonnen hätten, wären ihre Eltern vielleicht dahintergekommen. Stattdessen war sie in der Mall gewesen und hatte sich mit jemandem von Angesicht zu Angesicht unterhalten, und da hatte alles angefangen, mit einem simplen, harmlosen Gespräch, die harmloseste Unterhaltung, die man sich vorstellen konnte.
    Magst du den Song?
    Was?
    Magst du den Song?

    Ja. Das stimmte nicht wirklich. Sie fand den Song gar nicht so toll, aber dieses Gespräch – das Gespräch war etwas ganz anderes gewesen, etwas, von dem sie hoffte, dass es nie aufhören würde. Ja .

Kapitel 23
    Und dann klingelte endlich das Telefon.
    So erinnerte sich Miriam an diesen Augenblick. Später sagte sie sich, dass sie die Tragweite des Anrufs am dumpfen, tiefen Klingeln erkannt hätte, das einsetzte, als sie gerade den Tisch für das Abendessen deckte. Aber es dauerte eigentlich noch ein paar Sekunden, bis sie sich sicher war, nachdem der Mann sich zuerst nur geräuspert und dann mit diesem merkwürdigen Akzent zu sprechen begonnen hatte, der typisch für Baltimore war. Es klang eigenartig und misstönend und nach all den Jahren dennoch vertraut.
    Sie haben sie gefunden.
    Sie haben Leichen gefunden, die sie sein könnten.
    Wieder ein Irrer, der im Gefängnis herumgeplappert hatte, verzweifelt auf Straferlass hoffend oder auch nur um Aufsehen ringend.
    Sie haben sie gefunden.
    Leichen gefunden, die sie sein könnten.
    Irrer im Gefängnis plappernd vage Vermutung aber anhören muss man.
    Sie gefunden sie haben.
    Sunny. Heather. Dave tot, armer toter Dave, nicht mehr da, um das Ende der Geschichte zu erleben. Oder sollte es besser heißen, glücklicher Dave, verschont geblieben von einer Wahrheit, die er sich nie ganz eingestehen konnte?
    Sie haben sie gefunden.
    »Miriam Bethany«, das »Bethany« machte es eindeutig. Es

    gab nur einen Zusammenhang, in dem sie noch Miriam Bethany war.
    »Ja?«
    »Ich heiße Harold Lenhardt und bin Sergeant bei der Polizei in Baltimore.«
    Gefunden. Gefunden. Gefunden .
    »Vor ein paar Tagen war eine Frau in einen Autounfall verwickelt, und als die Polizei dort eintraf, behauptete sie …«
    Wahnsinnige, Wahnsinnige, noch so eine verfluchte Wahnsinnige. Noch so eine Irre, der es gleich war, welches Leid sie verursachte.
    »… dass sie Ihre Tochter sei. Die jüngere, Heather. Sie sagt, sie sei Ihre Tochter.«
    Und Miriam platzte der Kopf.

Teil VI
    PHONEMATES (1983)

Kapitel 24
    Um 6.30 Uhr klingelte das Telefon, und Dave nahm unvorsichtigerweise ab. Wie konnte er nur so dumm sein! Erst letzte Woche hatte er in Erwartung dieses jährlichen Anrufs bei Wilson am Security Boulevard extra einen PhoneMate-Anrufbeantworter erstanden. Sie waren dort angeblich günstiger, obwohl Dave es nicht genau hätte sagen können, weil ihm die Geduld fehlte, Preisvergleiche anzustellen. Dennoch, als Händlerkollege, wenn auch mit viel bescheidenerem Umsatz, interessierte er sich dafür, wie dieser Laden seine Betriebskosten senkte, indem er Verkaufskräfte einsparte und auf Präsentationsfläche verzichtete. Bei Wilson blätterte man im Katalog nach und notierte sich die Warennummern, dann stellte man sich an, um die Ware entgegenzunehmen, und ging dann zur nächsten Schlange, um zu bezahlen. Vielleicht bestand der Trick darin, den Leuten vorzugaukeln, sie würden ein Schnäppchen machen. Dieses ganze Schlangestehen musste sich ja irgendwie lohnen, oder? Die Sowjetrussen standen um Klopapier an, die Amerikaner für PhoneMates und WaterPiks-Mundduschen und vierzehnkarätige Goldkettchen.
    Anrufbeantworter waren etwas Neues, plötzlich besaß jeder einen, sprach alberne Nachrichten drauf, gab kleine Parodien zum Besten, manche sangen sogar. Dies bewies nur, was für ein schrecklich einsames Land die Vereinigten Staaten waren, in dem sich alle sorgten, dass ein einziger verpasster Anruf Einfluss auf ihr Schicksal haben könnte. Der Dave von früher hätte so lange wie möglich Widerstand geleistet,

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