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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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bevor er sich einem solchen Ding unterworfen hätte, wenn überhaupt. Aber
es bestand immer die Möglichkeit, dass sich jemand nur einmal meldete und nie mehr wieder. Und dann gab es die Anrufe, die man nicht entgegennehmen wollte, und der Apparat erlaubte es einem, mitzuhören und selbst zu entscheiden, ob man denjenigen persönlich sprechen wollte. Dave hatte dafür noch nicht den richtigen Dreh raus – wenn man jemandem erst einmal offenbarte, dass man mitgehört hatte, wie konnte man dann jemals wieder den Anrufer ignorieren? Oder gab man einfach vor, nicht da zu sein? Vielleicht war es einfacher, gar nicht erst ranzugehen. Er hatte fast drei Stunden gebraucht, um etwas draufzusprechen. »Dies ist der Anschluss von Dave Bethany, und ich bin gerade nicht da … « Das war nicht unbedingt wahr, und er hasste es, zu lügen, sogar Fremden gegenüber, aber noch weniger wollte er Diebe ermuntern. »Sie haben den Anschluss der Bethanys erreicht.« Aber es gab keine Bethanys mehr, nur noch einen einzigen Bethany in einem zunehmend verwahrlosten Haus, in dem nichts wirklich kaputt war, aber auch nichts mehr richtig funktionierte. » Dave hier. Hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton«. Nicht besonders einfallsreich, es erfüllte jedoch seinen Zweck.
    Der PhoneMate-AB klingelte viermal, bevor er ansprang, und der von der Wohltat einer traumlosen Nacht noch schlaftrunkene Dave griff blind zum Hörer. Im selben Moment, in dem er ihn zum Ohr führte, fiel ihm das Datum ein, ebender Grund, warum er den PhoneMate überhaupt angeschafft hatte. Zu spät.
    »Ich weiß, wo sie sind«, erklang eine krächzige männliche Fistelstimme.
    »Verpiss dich«, entgegnete Dave und knallte den Hörer auf die Gabel, aber nicht schnell genug, um nicht noch zu hören, wie eine Faust wütend auf etwas eindrosch.
    Diese Anrufe hatten vor vier Jahren begonnen und liefen immer gleich ab, wenigstens von der Art der Äußerungen her. Die Stimme klang von Jahr zu Jahr anders, und Dave war zu
dem Schluss gekommen, dass der jährliche Anrufer unter Allergien litt, die den Klang der Stimme verfremdeten. Hatte sich der obszöne Anrufer dieses Jahr heiser angehört? Anscheinend flogen schon allerlei Pollen durch die Luft. Der Typ war sein persönliches Murmeltier. Sein »PhoneMate«.
    Pflichtbewusst notierte Dave Datum, Uhrzeit und den Inhalt des Anrufes auf dem Block beim Telefon. Detective Willoughby meinte, er solle alles aufschreiben, auch wenn wieder aufgelegt wurde, doch obwohl Dave Buch führte, hatte er Willoughby nie etwas von diesem speziellen Frühlingsritual anvertraut. »Lassen Sie uns entscheiden, was davon wichtig ist«, hatte ihm Willoughby immer wieder in den letzten acht Jahren nahegelegt, aber Dave konnte so nicht leben. Er wollte selbst entscheiden können, wenn auch nur für sein seelisches Gleichgewicht. Allmählich musste er sich jedoch zusehends eingestehen, dass es sich von der Hoffnung allein nur schlecht leben ließ; sie war ein fordernder Begleiter, der einen gern ausnutzte. Emily Dickinson hatte sie als Federding bezeichnet, aber ihre Hoffnung war klein und zierlich, eine positive Kraft. Die Hoffnung von Dave Bethany hatte auch Federn, aber sie war mehr so etwas wie ein Greif mit funkelnden Augen und scharfen Krallen. Klauen , verbesserte er sich. Der Greif hatte den Kopf eines Adlers, aber den Körper eines Löwen. Dave Bethanys Version der Hoffnung saß ihm auf der Brust und bohrte ihm mit ihren Klauen ins Herz.
    Er musste erst in einer guten Stunde aufstehen, konnte jedoch nicht wieder einschlafen. Er stand auf, schlurfte nach draußen, um die Zeitung zu holen, und setzte dann Wasser für den Kaffee auf. Dave hatte immer darauf bestanden, den Kaffee selbst aufzubrühen, ganz gleich, wie sehr Miriam ihn zu einer Kaffeemaschine überreden wollte. Inzwischen waren sogar die Gourmetfetischisten – Daves Ansicht nach ein dekadenter Haufen – wieder zur traditionellen Art der Kaffeezubereitung übergegangen, auch wenn sie dafür ihre Bohnen
in kleinen kuppelförmigen Geräten mahlen und viel Lärm und Getöse machen mussten. Siehst du , sagte er zu seiner unsichtbaren Frühstücksgenossin, während er das kochende Wasser über die gemahlenen Kaffeebohnen goss. Ich habe dir ja gesagt, alles kommt wieder .
    Er hatte die Angewohnheit, sich mit Miriam am Frühstückstisch zu unterhalten, nie abgelegt. In der Tat genoss er es eigentlich noch mehr, seit sie nicht mehr da war, weil es keine Widerrede, keine Hänseleien und

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