Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
längerfristigen Nebenwirkungen einsetzten, machte mir die Erhöhung Sorgen. »Schätze, so lange werde ich wohl durchhalten«, ergänzte sie dann meist. Was die Ärzte auch sagten, nichts konnte sie davon überzeugen, dass sie eine normale Lebenserwartung hatte. Mir als ihrer einzigen Tochter und Pflegerin hatte die Sozialarbeiterin, eine Frau in Tweed, die nicht nur Kniestrümpfe trug, sondern auch Röcke, die nicht mal bis an deren Rand reichten – meine Verachtung war grenzenlos –, das alles ganz genau erklärt. Meine Mutter würde genauso lange leben, wie sie es vor der Feststellung dieser Krankheit getan hätte, aber die Wirkung der Dopamine würde nach fünf bis zehn Jahren nachlassen. Wenn es zum geistigen Verfall kam, war das eher eine Nebenwirkung dieser Medikamente als ein Symptom ihrer Krankheit. Früher oder später würde ich zwischen einer zitternden, in ihren Bewegungen verlangsamten Mutter, die kaum schlucken konnte, aber geistig rege und umgänglich war, und einer körperlich fitteren Mutter, die aggressiv werden konnte, wählen müssen. Die meisten Familien, erzählte mir die Sozialarbeiterin, entschieden sich für Ersteres.
Es wurde zu einer Art stehender Redewendung zwischen meiner Mutter und mir, ihr Wunsch, mich »unter der Haube« zu wissen. Damals amüsierte oder ärgerte es mich hauptsächlich, häufig beides auf einmal – erst als ich selbst Mutter wurde, kam die schmerzliche Dimension ihres Wunschs bei mir an. Ich war das einzige Kind einer Witwe mit einer degenerativen Krankheit, und sie hatte eine Heidenangst, dass ich allein zurückbleiben würde, wenn ich nicht mehr zurechtkam und sie in ein Pflegeheim musste. In meinen Jugendjahren, während bei ihr die Krankheit voranschritt, sah sie es als ihre Pflicht an, mir all die Ratschläge zu erteilen, die mir sonst fehlen würden, wenn sie wartete, bis ich mich mit dem anderen Geschlecht abgab. Zum Beispiel in der einen Woche: »Trau ja keinem Mann, der dir nicht in die Augen sieht.« In der nächsten: »Einem Mann, der dich zu intensiv anstarrt, darfst du nicht über den Weg trauen, merk dir das.«
Meine Mutter war fünfundvierzig, als ich zur Welt kam, mein Vater Anfang fünfzig. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass ich eine ziemliche Überraschung für sie war. Mein Vater war Betriebstechniker im örtlichen Reprografieunternehmen. Als ich acht Monate alt war, starb er an einem Herzinfarkt. Im Laufe eines Jahres verwandelte sich meine Mutter von der besseren Hälfte eines gesetzten, kinderlosen Ehepaares in eine Alleinerziehende. Für den Schock, den diese Wandlung ausgelöst haben musste, hielt sie sich wacker. Immer wenn ich mir Fotos meines verstorbenen Vaters ansah, sagte meine Mutter: »Er war verrückt nach dir, dein Daddy, und wie; du warst sein Ein und Alles.«
Ich liebte meine Mum. Sie war zwar alt genug, meine Großmutter zu sein, aber wir waren dicke Freundinnen. Ihre Ratschläge in Liebesdingen beschränkten sich, als es so weit kam, auf vage Verallgemeinerungen, ohne jeden Bezug auf die handfesten körperlichen Seiten einer Beziehung – wenig von dem, was sie mir erzählte, hätte nicht direkt den Seiten eines Eheratgebers, Jahrgang 1956, entsprungen sein können. Einmal, als wir nebeneinander in unserem Mini-Küchengärtchen knieten und Möhren ausbuddelten, sagte sie nachdenklich zu mir, so als hätte es ihr schon lange auf der Seele gelegen: »Wenn du mal zu einer Cocktailparty gehst, Laura, und du kommst rein, und da ist eine andere junge Frau, die das gleiche Kleid anhat, dann lass dir nur ja nichts anmerken. Schau sie einfach an und ruf fröhlich: Bingo!«
Diesen Knüller gab ich zu schallendem Gelächter auf dem Schulflur zum Besten. Cocktailpartys? Kleider? Auf welchem Planeten lebte meine Mutter?
Hin und wieder erkannte ich eine gewisse Weisheit in ihren Bemerkungen. An einen solchen Ausspruch erinnere ich mich glasklar, weil er in der ersten Zeit meiner Beziehung mit David wieder aufs Tapet kam. »Häschen …«, setzte sie feierlich an, während wir Hühnerfrikassee zu Abend aßen. »Häschen, wenn du auf Nummer sicher gehen willst, dass die Familie eines Jungen dich mag, gibt’s nur eins: dich vergewissern, dass sie die Freundin vor dir nicht mochten.« Es sollte zehn Jahre dauern, bis mir die tiefe Wahrheit in diesen Worten aufging.
Daran erinnere ich mich am deutlichsten aus der ersten Zeit mit David: Wie er mich ansah, nachdem wir uns geliebt hatten. Nach dem Sex lag er auf dem Rücken, einen Arm
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