Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
gesteckt, ihr beeindruckend vielgestaltiger Kuscheltierzoo am Fußende aufgereiht. Mein Bett, in dem ich es nicht aushalte, steht Gästen zur Verfügung. Tante Lorraine benutzt es manchmal. Häufig schläft auch jemand unten, manchmal Davids Schwester Ceri, manchmal Julie oder eine andere Nachbarin. Die Gästebettdecke wird jeden Morgen zusammengerollt hinter das Sofa gestopft. Jemand hat zusätzliche Kissen vorbeigebracht. Nachts liege ich wach, starre auf die phosphoreszierenden Plastiksterne an Bettys Zimmerdecke und stelle mir vor, ich wäre sie. Tagsüber will ich nur noch schlafen.
Außer den regulären Besuchern gibt es Leute, die nur einmal kommen, und die kann ich am allerwenigsten leiden. Sie kommen aus eigenem Antrieb, brauchen allesamt meine Bestätigung, wollen den Saum meines Gewandes berühren. Sally, Willows Mutter, ist eine davon. Als ich morgens nach unten komme, drei Tage nach dem, was passiert ist, steht sie in der Küche. Ich bleibe im Türrahmen stehen und starre sie an. Mit ausgebreiteten Armen kommt sie auf mich zu. Stocksteif stehe ich da, während sie diese Arme – ihre wabbeligen, warmen Arme – um mich legt.
Weil ich merke, dass etwas von mir erwartet wird, frage ich: »Wie geht es Willow?«
Sally tritt einen Schritt zurück und entblödet sich nicht, verschämt zu gucken. »Sie ist noch auf dieser speziellen Abteilung, da, wo sie …«
»Der IMC «, sage ich.
»Ja, auf der Intermediate Care Station, nur zur Sicherheit.«
Ich sehe in Sallys rundes, eulenhaftes Gesicht mit den großen, weit aufgesperrten blauen Augen, beängstigend weit aufgerissen vor lauter Anstrengung, nichts Unpassendes zu sagen.
Also noch am Leben, möchte ich sagen, auf der IMC, total verkabelt, am Tropf und was nicht alles und direkt neben dem Schwesternzimmer, damit sie sie immer im Blick haben, aber noch am Leben. In der Intermediate dürfen Eltern nicht auf Klappbetten übernachten. Der Platz neben den Krankenbetten muss frei bleiben, für den Fall, dass sie unerwartet ein Notfallteam reinschicken müssen, daher kriegen die Eltern der am schwersten kranken Kinder am wenigsten Schlaf, aber es ist immer noch besser, als sein Kind auf der Intensivstation zu haben. Ich kann mir meine Betty auf der IMC vorstellen. Ich kann mir vorstellen, wie ich mich darüber ärgern würde, auf einem Besucherstuhl neben ihrem Bett schlafen zu müssen und alle paar Minuten vom Geschwätz der Krankenschwestern geweckt zu werden, wie ich für ihre Entlassung kämpfen würde, ohne mir darüber im Klaren zu sein, was für ein Glück ich hätte, wie viel schlimmer es hätte sein können.
Ich sehe mir die vor Mitgefühl triefende Sally an und denke: Dich hab ich noch nie leiden können. Wir waren nur miteinander befreundet, weil unsere Töchter Freundinnen waren, und jetzt werden alle denken, ich ginge dir aus dem Weg, weil meine Tochter aus dem Leben gerissen wurde und deine nicht, dabei ist der wahre Grund der, dass ich dich noch nie leiden konnte, und es ist eine Erleichterung, mich nicht mehr verstellen zu müssen. Steif wende ich mich ab und spüre Sallys Blick im Rücken, mit ihrem offen verzweifelten Gesichtsausdruck, und wenn ich die Energie aufbrächte, würde ich mit geballter Faust reinschlagen.
Dann kommt das Grauen von Bettys Beerdigung. Sie ist in eine Abfolge einzelner Bilder unterteilt: Tante Lorraine und Julie, die mich in meinem Schlafzimmer wie eine Puppe anziehen, meine blaue Jacke zuknöpfen und mir die Trotteurschuhe überstreifen, die ich bisher überhaupt nur zu Vorstellungsgesprächen getragen habe – weil sie vorne silberne Schleifen haben, nenne ich sie meine Silberschuhe, obwohl sie schwarz sind. Dann zieht die Stadt vorbei auf der Fahrt zum Krematorium, die Welt unnatürlich gedämpft aus dem Fahrgastraum unseres blank polierten, abgeschotteten Autos. Eine vereinzelte Wolke hängt am Himmel. Ein Junge radelt den Bürgersteig entlang, freihändig, die Arme vor der Brust verschränkt. Während wir fahren, ist alles still, aber zugleich geht das Leben der anderen außerhalb des Autos klar ersichtlich ganz normal weiter. Zwei Frauen kommen uns entgegen. Sie überqueren die Straße, als wir an einer Ampel halten. Andere Leute fahren in anderen Autos vorbei: redend, lachend, als wäre alles in Ordnung. Dann sind wir im Krematorium, und das nächste Bild ist, wie der Sarg hereingetragen wird. Warum weiß? Warum nicht blau oder lila – ihre Lieblingsfarben? Das Weiß gefällt mir überhaupt nicht. Ich kann
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