Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
übernachtet nicht mehr bei mir, ruft mich aber noch täglich an und hinterlässt eine muntere Nachricht, in der sie fast jedes Mal erwähnt, wie kalt es draußen ist. David meldet sich auch täglich und will Rees sprechen. Die Anrufe von Davids Mutter werden seltener, und nach vierzehn Tagen sage ich: »Gillian, nett von dir, dass du weiter anrufst, aber ich komm schon zurecht, wirklich.« Julie kommt immer noch jeden Morgen vorbei, um Rees mit ihrem eigenen Sohn in den Kindergarten zu bringen. Früher haben wir das zwar eigentlich abwechselnd gemacht, aber weil ich gearbeitet habe und sie nicht, hat sie oft angerufen und gesagt: »Lass nur, ich geh sowieso einkaufen.« Weil sie mir so, auf ihre ruhige, anspruchslose Art, schon immer ausgeholfen hat, kommt es mir jetzt nicht ganz so außergewöhnlich oder aufdringlich vor. Sie sagt, dass sie die Jungs gerne in den Kindergarten bringt, weil sie dann aus dem Haus kommt. Ich weiß, dass ich mich irgendwann aufraffen und den Kindergarten betreten muss, aber noch bin ich nicht so weit. Die Erzieherinnen haben mir eine Karte geschickt. »Wie geht es ihr?«, werden sie Julie fragen.
Meine Chefin, Jan H., lässt mir etwa zweimal die Woche Nachrichten zukommen. Als Jan Harrison bei uns anfing, wurde sie Jan H. genannt, um sie von einer anderen Jan, Jan Bennett, zu unterscheiden, die schon eine Kollegin war. Jan B. hat uns vor achtzehn Monaten verlassen, aber wir haben uns so daran gewöhnt, die neue Jan Jan H. zu nennen, dass es dabei geblieben ist. Janhah. Mein Hausarzt hat mich wegen depressiver Reaktion auf einen Trauerfall in der Familie krankgeschrieben, aber das war nur eine Formalität – Jan H. hätte mir alles genehmigt. Sie schickt mir ab und an ein paar Zeilen auf Büro-Notizpapier, um mir zu versichern, dass sie alle prima zurechtkommen ohne mich, und um mit mir in Kontakt zu bleiben. Ihre Botschaften sind oft fröhlich oder belanglos, wirken aber nie oberflächlich. Offenbar hat sie den Dreh raus, was man mitteilen soll. Nur damit du weißt, dass wir noch an dich denken, stand in ihrer letzten. Ohne dich ist es langweilig, Süße. Vorige Woche war furchtbar viel los. Wir hatten zwar jemand zur Entlastung, aber die ist – ohne Namen zu nennen – alles andere als zuverlässig. Wir kriegen noch immer Überweisungen vom Upton Centre. Mir gefällt, dass sie mich auf dem Laufenden hält und mich wie ein menschliches Wesen behandelt, dem etwas Furchtbares zugestoßen ist, nicht wie eine unbekannte Spezies von einem anderen Planeten. Aus ihren Botschaften geht hervor, dass sie keine Antwort erwartet.
Ich lege die Zettel zu der Kartensammlung auf dem Kaminsims. Die meisten Karten sind weiß: wieder weiß – die Farbe der Trauer. Gewöhnlich sind sie mit einem dezenten Muster verziert, kleine Blumengebinde oder himmlische Lichtstrahlen, silberne Sterne, geprägte Tauben. Diese Verzierungen finde ich schauderhaft. Die persönlichen Grußworte sind oft unbeholfen, manchmal bis an die Schmerzgrenze, mir aber dennoch lieber.
Zwischen den Karten und Zetteln liegt eine andere Botschaft, eine, die nicht hierher gehört. Sie steht auf einem zusammengefalteten Blatt DIN -A4-Papier, in bekanntem Schriftbild ausgedruckt und, wie üblich, ohne Unterschrift. Du tust mir leid , steht da, und ein winziger Teil von mir bewundert diese Schlichtheit. Ich weiß nicht, warum ich sie mitten zwischen die Beileidskarten und -briefe gelegt habe, glaube aber, dass es aus Großmut geschah. Ich beschließe, sie als eine Entschuldigung aufzufassen, die ich als versöhnliche Geste auf den Kaminsims lege; vielleicht auch als veredelnde Geste, so als würde die Nähe zu den wohlmeinenden Nachrichten und Karten auf sie abfärben.
Die Tage gehen nahtlos ineinander über. Draußen vor meiner Tür dreht sich die Welt weiter. Hin und wieder sehe ich, wie sie sich dreht, die seltenen Male, wenn ich aus einem Vorderfenster schaue. Menschen treten aus ihren Häusern und steigen in ihre Autos. Vögel stoßen herab. Der Postbote mit seiner aufgeplusterten Jacke radelt vorbei. Diese minimalen Drehungen zu beobachten, verschafft mir zunächst eine gewisse Ruhe, bis das Gefühl verebbt und zerfließt und es mir dann wieder so vorkommt, als sei der Rest der Welt beleidigend übereilt zu seinem Alltagstrott zurückgekehrt. Rees ist mein Hauptproblem, mein Schätzchen Rees. Solange ich ihn habe, kann ich nicht aufgeben oder allein und still sein; mehr als alles andere sehne ich das Alleinsein herbei. Ich komme
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