Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
nicht begreifen, warum offenbar alle so wenig von mir wollen. David steht neben mir, sein Schwager an der anderen Seite, wie Bodyguards. Davids Schwester hält ihre eigenen Kinder an sich gedrückt und weint. Chloe ist mit dem Baby da, zwei Reihen hinter uns, sie wird von Weinkrämpfen geschüttelt. Davids Eltern sitzen in der Bankreihe zwischen mir und Chloe, neben Tante Lorraine, die Rees auf dem Schoß hält. Ich möchte ihn auf meinem Schoß haben, aber offenbar ist er zufrieden da, wo er ist. Die ganze Zeit laufen mir Tränen über die Wangen, aber ich schluchze nicht, ich lasse mich nicht gehen. Dieses Ereignis hat nichts mit meiner Tochter zu tun. Es ist eine ausgeklügelte Abfolge von Bezugnahmen auf eine Person, die in einer weißen Kiste mit vergoldeten Griffen liegt und die das Leben in vollen Zügen genossen hat, wie es scheint. Ich habe begriffen, dass Betty von mir gegangen ist, doch so, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Diese Zeremonie ist die Hölle, aber ohne jeden Grund, ohne Bezug zu dem Mädchen, das ich geliebt habe, und dem, was ihm zugestoßen ist. Es ist nur etwas, was ich durchstehen muss, damit ich danach wieder an Betty denken kann. Als ich bete, was ich tue, bete ich nur darum, dass diese abstoßende Farce bald vorbei sein möge.
Wir treten aus dem Krematorium in hellen Sonnenschein hinaus. Als wir hineingegangen sind, hat es geregnet, doch jetzt spiegelt sich strahlender Glanz auf dem nassen Asphalt des Parkplatzes. Wir wurden zur Seitentür hinausgeleitet. Auf der anderen Seite des Parkplatzes, am Eingang, steigen Fremde aus ihren Autos, um an der nächsten Einäscherung gleich nach Bettys teilzunehmen. Sie beeilen sich, schlagen Autotüren zu, richten Krawatten, sind schon spät dran. Unser Grüppchen – und es ist ein großes Grüppchen – steht kurz herum, blinzelt in die Sonne. Rees ist zu mir gekommen und hat meine Hand ergriffen. Eine Schar Möwen segelt hektisch kreischend hoch über uns. Das Spektakel perforiert den friedlichen Himmel und unsere Sammlung. Alle sehen sich um.
»Was machen wir jetzt?« Ich richte die Frage an niemand Bestimmten, aber David und Robert stehen noch rechts und links von mir. David sagt: »Wir fahren zurück«, und einen kurzen, aberwitzigen Moment lang glaube ich, er meint, zurück in der Zeit. Viele von uns drehen sich um und gehen langsam zu ihren Autos.
Mit einem Mal sträubt sich alles in mir gegen den Aufbruch. So seicht die Zeremonie auch gewesen sein mag, sie war ein weiterer sich lösender Faden aus dem Netz, das mich mit Betty verband, noch eine Auftrennung. Am Ende davon kommt der nächste kleine Schritt, der mich weiter weg von meinem Mädchen und näher an mein Leben ohne sie führt. Ich schaue in den klaren, offenen Himmel hinauf, dann um mich, und die gleißende Sonne und die schillernden Pfützen verleiten mich zu einem Augenblick der Euphorie, so als wäre das Schlimmste überstanden. Das ist eine grausame Täuschung, denn im nächsten Moment, während ich klein und hilflos dastehe, zieht der Himmel wieder zu. Ich fröstele. Ohne ein Wort wenden David und ich uns ab und folgen den anderen zu den Wagen. Unser blankes Gefährt wartet auf uns und ein Mann in Uniform, der mit abgewandtem Blick die Tür aufhalten wird.
Während wir zum Auto gehen, sehe ich eine Gruppe Frauen, alle in Schwarz, die am anderen Ende, ganz am Rand des Parkplatzes steht. Ich nehme an, dass die Frauen zur nächsten Aussegnung gekommen sind, aber sie gehen nicht auf das Gebäude zu, sondern starren uns an. Es sind vier: zwei mittleren Alters, eine Ältere, eine Junge. Die Ältere ist klein und dick, die anderen sind groß und kräftig – schwarzhaarig, blass. Die Junge hält ein Sträußchen weiße Blumen umklammert. Als sie merken, dass ich zurückschaue, flüstert die Junge den anderen etwas zu, und alle neigen wie auf Kommando die Köpfe. David hat meinen Arm genommen und hilft mir ins Auto. Solange es dauert, bis man mich auf den Rücksitz gesetzt und angeschnallt hat und bis der Motor angelassen und das Auto langsam gestartet und weggefahren wird, verrenke ich mir den Hals, um sie sehen zu können – und die gesamte Zeit über bleiben die Frauen reglos mit gesenkten Köpfen stehen. Erst als wir über die Auffahrt zu dem hohen schmiedeeisernen Tor fahren, schaut eine der beiden mittleren auf und sieht uns mit versteinerter Miene nach.
5
Nach Bettys Beerdigung gehen die Leute allmählich dazu über, mich in Ruhe zu lassen. Tante Lorraine
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