Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
Spielplatz zu versuchen. Seit Bettys Unfall habe ich ihn noch nicht wieder hingebracht. Vorher waren wir fast täglich dort. Ich habe mich vor der Begegnung mit anderen Müttern gefürchtet – auch nur in die Nähe der Schule zu gehen, kommt nicht in Frage. Offenbar hatten sie eine eigene Gedenkveranstaltung für Betty. David ist hingegangen und hat eine Botschaft von uns beiden verlesen – ich hatte ihn gebeten, alles zu sagen, was er für angemessen hielt. Der kleine Teil von mir, der noch nicht ganz tot ist, weiß, dass ich Rees zuliebe den Anschein von Normalität wahren muss, Rees, der nicht versteht, dass Betty nie wiederkommen wird.
Also gehen wir zum Spielplatz. Es ist ein mickriges, kleines Plätzchen, ein winziges Asphaltquadrat am äußersten Rand unseres Viertels, vor dem Weg auf die Steilküste, wo die Wolken tief über den Streifen Ödland ziehen, der darauf wartet, erschlossen zu werden, aber wegen irgendeiner Laune des Planfeststellungsverfahrens, die kein Mensch versteht, weiter brachliegt. Ich nähere mich langsam, um nachzusehen, ob der Spielplatz leer ist. Wie fast immer. Wir schieben uns durch das quietschende Metallgatter, und Rees pest los zu seinem Lieblingsgerät, dem Klettergerüst. Ich gehe zu der klammen Bank hinüber und setze mich. Obwohl es nicht besonders kalt ist, lasse ich meine Hände in den Manteltaschen. Ich mummele mich gern ein. Vor dem Unfall habe ich mich trostlos gefühlt, wenn bei unserer Ankunft keine anderen Eltern auf dem Spielplatz waren; trostlos, verloren, verlassen. Wo sind all die anderen Mütter?, dachte ich dann: plaudern irgendwo in einer warmen Küche, die Hände um eine Kaffeetasse gelegt, und überlegen hin und her, ob sie sich noch einen dritten Keks genehmigen sollen. Wenn niemand außer mir da war, kam ich mir immer ausgegrenzt vor. Jetzt hätte ich den Spielplatz links liegen gelassen, wenn noch irgendwer da gewesen wäre, ohne Rees’ unvermeidlichen Wutanfall zu beachten.
Rees baumelt an den Hangelsprossen. Noch vor Kurzem hätte ich gerufen: »Vorsicht, Rees!« Was Betty geschehen ist, hat mich von dieser Ängstlichkeit befreit, und es befreit Rees von meiner unerwünschten, überbehütenden Besorgnis. Was ist das Schlimmste, was ihm passieren kann, wenn er vom Klettergerüst fällt: ein gebrochener Arm?
Während ich zusammengekauert auf der Bank hocke, die Arme um den eigenen Leib geschlungen, obwohl ich nicht friere, merke ich, dass ich in seltsam träumerischer Verfassung bin, fast euphorisch – schwebend. Es ist passiert, sage ich mir ruhig. Das Schlimmste auf der Welt ist passiert. Ich habe meine Betty verloren. Unbeteiligt blicke ich zu Rees hinüber. Was hat er doch für ein Glück. Wie hoch kann, rein statistisch gesehen, die Wahrscheinlichkeit schon sein, dass eine Frau ihre beiden Kinder bei tödlichen Unfällen verliert? Bestimmt verschwindend gering. Bettys Unfall wird Rees vor allen Gefahren schützen. Ihm wird nie etwas geschehen. Nie wieder werde ich »Vorsicht, Rees« sagen müssen.
Ich schließe die Augen und richte mein Gesicht gen Himmel, spüre die kalte Luft. Wie großartig, hier zu sein, außer Haus, und, während Rees beschäftigt ist, an nichts als Betty denken zu können: all die vielen Stunden, die ich hier mit ihr verbracht habe, wie ich sie auf der Wippe festgehalten habe, als sie ein Baby war, wie ich kämpfen musste, um sie aus der Sandkiste zu kriegen, weil es ganz danach stank, als hätten wieder die Füchse reingepisst. Und wie ich sie, als sie älter war, mitschleifen musste, damit Rees sich auf dem Rückweg austoben konnte, wenn wir sie von der Schule abgeholt hatten. Dann saß sie auf der Schaukel, obwohl der Gemeinderat die Ketten verkürzt hatte, um ältere Kinder wie sie abzuschrecken. Und schaukelte sacht hin und her, mürrisch, während Rees mit den anderen Kleinkindern juchzte und kreischte. Bis sie dann irgendwann fragte: »Hast du was zu essen dabei, Mum?«
Ich schlage die Augen wieder auf. Der Spielplatz ist voller Bettys – Betty in einem anderen Alter auf jedem Gerät. Es wimmelt von ihr.
Rees hängt mit einer Hand vom Hangelbalken des Klettergerüsts und radelt mit den Beinen in der Luft, um die Leiter am Ende zu erreichen. Ich beobachte ihn gelassen. Neben ihm hängt sich Betty mit den Knien an die Reckstange und lässt sich nach hinten fallen, lässt die Arme baumeln, ihr langes Haar über den Boden fegen. So sehr muss sie mich geliebt haben, dass sie mir dieses Geschenk machte – sich geopfert
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