Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
trotzdem.«
»Sie finden es merkwürdig, dass wir uns nicht öfter treffen und über Betty reden?«
Sie nickt.
»Tja«, sage ich trocken, »wenn Sie die ganze Geschichte unserer Trennung kennen würden, fänden Sie das wohl nicht gar so seltsam.«
»Ich habe den Eindruck, dass die Fronten dabei ein wenig verhärtet waren.«
»Das ist eine ziemliche Untertreibung.«
»Können Sie beide sich nicht einfach nur zu einem Gespräch verabreden, ganz unter sich, Sie wissen schon, sich miteinander austauschen? Ich frage das mindestens ebenso sehr in seinem wie in Ihrem Interesse.«
Ich schnaube laut und verächtlich, während wir hineingehen. Durch die Küche kommt Rees mit gesenktem Kopf wie ein Torpedo auf uns zugeschossen. »Das würde Chloe wohl kaum gestatten.« Rees rammt mich, umklammert meine Beine und bricht in Geheul aus.
Toni schneidet ihre typische Grimasse. »Darauf komm ich später noch mal zurück.«
David Bradley ist einer jener Männer, die sich selbst in einem Fernsehfilm spielen könnten. Bei flüchtiger Bekanntschaft kommt er einem wie ein schlichtes Gemüt vor, ein ruhiger, kluger Eckpfeiler, ein Wirbel im Rückgrat des staatlichen Gesundheitswesens – schütteres Haar, klein, Hängeschultern. Über Leute wie ihn, Männer wie Frauen, habe ich früher viel nachgegrübelt. Mein Berufsleben war um diese Typen herum aufgebaut, zurückhaltende Wesen, die wirken, als hätten sie die Palette ihrer Persönlichkeit komplett leer gefegt, um sich voll und ganz ihrer Aufgabe widmen zu können. Ob es unter deren glatter Oberfläche wohl brodelt?, habe ich mich immer gefragt. Ob sie zum Bersten voll sind? Wie sieht ihr geheimes Leben aus? Vorher wäre nie jemand auf den Gedanken gekommen, mir Verschlossenheit vorzuwerfen. Geschwätzig, wenn ich guter Laune war, unübersehbar mürrisch, wenn nicht. Fragte mich jemand, wie es mir ging, gab ich ihm Bescheid. Manchmal bekam derjenige von mir eine ganz lange Geschichte aufgetischt. Aber Bradley und Leute wie er: die Leisetreter, Leergefegten – über die machte ich mir so meine Gedanken.
Bradley geht vollkommen professionell mit dem Tod um, wie unter Berufskollegen. Er beantwortet jede Frage und bevormundet die Hinterbliebenen nie. Eine meiner Patientinnen litt nach einer missglückten Epiduralanästhesie während der Geburt ihres zweiten Kindes unter einer Schädigung der Nerven in einem Bein. Zwei Jahre später beging ihr Mann Selbstmord, schloss die Garagentür und ließ den Motor ihres Volvo-Kombis laufen. Der Rechtsmediziner war Bradley. Ich brachte die Frau zu ihm. Sie wollte nicht glauben, dass ihr Mann so egoistisch sein konnte, sich umzubringen und sie als gehbehinderte Witwe mit zwei kleinen Kindern zurückzulassen. Sie hatten keine Geldsorgen – mit meiner Hilfe hatte sie eine ordentliche Abfindung aus unserem örtlichen NHS-Treuhandfonds bekommen. Während wir uns mit Bradley unterhielten, merkte ich, dass sie hoffte, der Tod ihres Mannes wäre ein Unfall gewesen, er könnte vergessen haben, den Motor abzustellen. (Bevor er seinen Mantel unter die Garagentür stopfte, den Fahrersitz in Liegeposition brachte und sich hinlegte …?) Er hatte keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Es war eindeutig ein Spontansuizid.
Ich glaube, ein schwächerer Mann als Bradley hätte der Witwe vielleicht erzählt, was sie hören wollte. Um sich selbst besser zu fühlen, hätte er ihr womöglich mehrdeutige Aussagen offeriert, die es ihr erlaubten, sich ihre eigene Geschichte zurechtzulegen. Bradley tat nichts dergleichen. Er ging den Bericht Zeile für Zeile mit ihr durch und ließ sie die nackten Tatsachen wissen, so wie sie aufgedeckt worden waren, bar jeder Interpretation. Später, bei der gerichtlichen Untersuchung der Todesursache, sollte es bei der Feststellung einer nicht eindeutig geklärten Ursache bleiben; doch nicht ein einziges Mal entschlüpfte Bradley eine Bemerkung, die es der Witwe gestattet hätte, sich etwas vorzumachen. Diese Ehre erwies er ihr. Er legte den Rest ihres Lebens in ihre Hände. Ich bin mir nicht sicher, ob ich an seiner Stelle ebenso stark hätte sein können, so prinzipientreu – ich habe immer zu viel Wert darauf gelegt, gemocht zu werden. David Bradley ist genau der Richtige für mich. Er wird mir sagen, was ich wissen muss.
Ich fahre die Strandpromenade entlang; es ist ein unfreundlicher, grauer Tag. Auf den Straßen sind kaum Leute, und die Läden machen keine Geschäfte. Plötzlich fliegt eine Plastiktüte vom oberen Rand meines
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