Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
»Natürlich war es toll, wenn er sich auf mich konzentriert hat, so intensiv, wissen Sie. Aus dem hätte ein guter Polizist werden können.«
Bei dieser Vorstellung lächeln wir beide flüchtig, schweigen dann kurz. Der Himmel über uns ist fahl wie ein Tuch. An den kahlen Zweigen bilden sich ein oder zwei winzige Knospen. Das sieht verfrüht aus. »Zum Beispiel?«, frage ich. Meine Stimme klingt ein wenig bitter.
»Was zum Beispiel?«
»Über was für andere Sachen?«
»Na, Sie wissen schon. In der Öffentlichkeit war er sehr gefasst, hat sich hervorragend mit der Presse arrangiert, bemüht, die Wogen zu glätten. Vorige Woche hat er sich den Fernsehkameras gestellt, das fand ich tapfer von ihm, aber er hat gesagt, er macht’s, wenn es die Probleme lösen hilft, die wir zurzeit in der Gemeinde haben. Ich mach mir nur ein wenig Sorgen. Nach außen hin scheint er gut zurechtzukommen, aber wissen Sie, oft ist es so, dass gerade die, die anfangs gut zurechtkommen, später total einknicken. Die, die gleich zusammenklappen, na ja, die es am schwersten trifft – ich schätze …«, sie unterbricht sich kurz, »tja, das ist vielleicht die natürlichere Reaktion.«
Meine Zigarette verglüht langsam von allein, während ich Toni anstarre. »Die gleich zusammenklappen, so wie ich«, sage ich.
»Ja, wie Sie«, räumt sie ein, betrachtet die Zigarette zwischen ihren Fingern und nimmt einen langen Zug. »Womit ich überhaupt nicht andeuten wollte, dass Sie irgendetwas falsch machen. Ganz im Gegenteil.«
»Fernsehkameras?« Ich habe weder den Fernseher angestellt, seit ich Betty verloren habe, noch eine Zeitung aufgeschlagen.
»Laura …« Ihre Stimme klingt zwar noch sanft, doch ich bilde mir ein, auch eine Spur Ungeduld mitzuhören. »Es war in den Hauptnachrichten, jetzt nicht mehr, aber eine Zeit lang. Vorige Woche kam es nur noch im Regionalprogramm.«
Das erklärt etwas, wonach ich mich gefragt habe. »Und gehört das auch zu Ihrer Arbeit?«
Sie nickt und fragt dann: »Haben Sie sich irgendeine dieser Broschüren angesehen, die ich Ihnen gebracht habe?«
Ich verdrehe die Augen. »Nicht vergessen, ich arbeite im staatlichen Gesundheitswesen. Wir haben zu jedem Anlass ein Rundschreiben. Wir haben ein Rundschreiben, wie man mit seinen Gefühlen umgeht, wenn der Wasserspender kaputt ist, mit der Telefonnummer einer Selbsthilfegruppe für Wasserspendergeschädigte.«
»Ich weiß, dass vieles darin bevormundend formuliert ist.«
»Schauen Sie, keine einzige hohle Phrase, die ich von Ihnen oder sonst wem zu hören bekam, habe ich nicht schon selber verwendet. In der Arbeit sterben mir die Leute auch weg, oder ich muss ihnen eröffnen, dass sie bestimmte Dinge nie wieder tun können. Ich bin nicht aus Zucker.«
Kurzes Schweigen. Ich frage mich, ob sie meinen verärgerten Ausbruch richtig deuten kann, ob sie versteht, wie wichtig es mir ist, dass sie mich sozusagen als Kollegin anerkennt, wie unerträglich ich es fände, von ihr wie ein Opfer behandelt zu werden. Nicht, weil ich sie zur Freundin haben wollte – ich weiß, dass sie nicht deswegen hier ist –, sondern weil ich will, dass sie mir einen freundinnengleichen Status zubilligt, emotional, intellektuell. Zugleich spüre ich etwas Kleines, Kindliches in mir, das von mir verlangt, meinem Bedürfnis nach Anlehnung an sie nachzugeben. Ich will wissen, was sie ihren Kollegen über mich erzählt.
»Sind alle so wie ich?«, versuche ich die Stimmung aufzulockern.
Sie zieht ein Mal-so-mal-so-Gesicht.
»Besser oder schlechter?«, bohre ich nach.
»Jeder leidtragende Hinterbliebene ist anders, das lernen wir als Erstes«, erwidert sie bestimmt. »Wenn man bei jemandem anklopft, weiß man nie, was einen hinter der Tür erwartet.«
Es ist anmaßend von mir, zu wünschen, dass sie mich wie ihresgleichen behandelt. Stünde ich auf einer Stufe mit ihr, wäre sie nicht hier. Ich versuche, ihr zu bieten, was sie hören will. »Mit mir ist es so, als hätte ich in einem Schwimmbecken Wasser getreten, mich gerade mal über Wasser gehalten. Und jetzt sehe ich mich zum ersten Mal um und erkenne, dass das Wasser, in dem ich geschwommen bin, Milch ist, oder lila, oder voll mit Fröschen. So viele bizarre Dinge passieren auf einmal.«
Sie sieht mich an. »Wie meinen Sie das?«
Ich erzähle ihr, wie seltsam ich Willows Trauerfeier fand, wie mir dort alles so aus dem Zusammenhang gerissen und surreal vorkam, selbst das Gespräch mit Ranmalis Mann, das mich hätte entsetzen
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