Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
müssen, mich aber nur verwirrt hat. Ich erzähle ihr, wie schwer mir der Fußweg nach Hause fiel, wie sich der Boden unter meinen Füßen bei jedem Schritt schwammig anfühlte, so als könnte er sich jederzeit auflösen. Und jetzt. Fernsehkameras? Niemand von der Presse hat sich mir genähert, aber David belästigen sie, warum auch immer.
Seufzend drückt Toni ihre Zigarette an meiner Gartenmauer aus. Ich habe das Gefühl, dass sie etwas sagen wird, das sie schon eine ganze Weile mit sich herumschleppt, etwas, das sie sich bis zum passenden Moment aufgespart hat. »Wir haben Ranmali und ihren Mann getrennt voneinander befragt. Ihre Aussagen weichen geringfügig voneinander ab. Es ist eine Frage der Interpretation, aber es ist wichtig. Die Anklageerhebung hängt davon ab.« Ich weiß, dass der Fahrer des Wagens ursprünglich wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge, also einem Schwerverbrechen, angeklagt werden sollte. Das Auto wurde beschlagnahmt, und auch seine Kleidung kam zur Untersuchung ins Labor. Die Alkohol- und Drogentests, die sie an ihm durchführten, waren negativ. Er wurde gegen Kaution entlassen. Per Aufruf suchen sie nach weiteren Zeugen – finden sich keine, könnte sich die Anklage auf fahrlässige Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs reduzieren, beides minderschwere Delikte. In den Augen des Gesetzes ist fahrlässig nicht so schlimm wie vorsätzlich, trotz der Tatsache, dass die Folgen für meine Tochter haargenau dieselben sind.
»Haben Sie mich angelogen?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf. »Wenn man untröstlich und deprimiert ist, wird man leicht paranoid, aber glauben Sie mir, das hilft nicht weiter. Niemand belügt Sie, wir haben Ihnen nur keine Informationen aufgedrängt, solange es so aussah, als wären Sie noch nicht dazu bereit, mehr nicht. Es ist alles da, wenn Sie so weit sind.« So streng hat sie bisher noch nie mit mir geredet. »Schlafen Sie überhaupt?«
»Das fragen Sie immer. Blöde Frage.«
»Ach was. Mit der Zeit kommt er schon wieder, wissen Sie, der Schlaf. Und Ihr Appetit.«
»Ich will beides nicht wiederhaben.«
»Ich weiß. Ich weiß, dass Sie nicht wollen.«
Ich werfe meine Zigarette weg. »Sagen Sie mir um Himmels willen bloß nicht, Sie kommen hierher, um sich zu vergewissern, dass ich wieder normal werde. Gehen Sie die scheißheilige Sally besuchen, wenn Sie Normalität wollen. Die kriegt das mit der Untröstlichkeit garantiert viel normaler hin.«
»Nein.«
»Wenn ich wach bin, und ich meine nachts, nicht tagsüber. Das ist die beste Zeit. Die einzige Zeit, in der ich allein bin.« Toni sieht mich an. Der Himmel ist immer noch aschfahl, eine große, schmerzhaft weiße Kuppel. Ich bin so dünnhäutig wie ein neugeborenes Baby, denke ich, und das ist kein sentimentales Bild. Ich denke daran, wie rot neugeborene Babys sind, unter der weißen Käseschmiere, wie etwas Gehäutetes. »Sehen Sie, ich weiß, dass ich den ganzen Tag allein bin, na ja, soweit es geht. Das meine ich nicht. Es ist die einzige Zeit, in der ich wirklich allein bin, wenn alle anderen schlafen. Die einzige Zeit, in der ich mich nicht beobachtet fühle.«
»Was glauben Sie, wer Sie beobachtet?«
»Alle«, sage ich, und erst als ich es ausgesprochen habe, merke ich, wie viel Wahres daran ist. »Sie beobachten mich ständig. Wenn ich die Straße langgehe, in den Läden. Ich will überhaupt nie mehr zur Schule gehen. Da werden sie zu Hunderten sein, und selbst auf einer leeren Straße weiß man nie, wann jemand aus dem Fenster guckt oder im Auto vorbeifährt. Alle glauben, sie würden mich kennen. Die anderen Mütter sind am schlimmsten. Sie bilden sich alle miteinander ein, sie wüssten, was ich durchmache, nur weil sie es sich alle vorgestellt haben, weil sie ihre eigenen Kinder lieben. Ich hab eine Frau auf dem Spielplatz getroffen und mir gedacht, die ist froh, dass es meinem Kind passiert ist. Sie denkt, dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass es ihrem zustößt.«
Obwohl Toni mich ansieht, macht mir das nichts aus. Ihr Blick fühlt sich nicht wie Beobachten an. Sie wird dafür bezahlt, bei mir zu sein. Sie hat eine gute Entschuldigung. Nach einer weiteren Schweigepause sagt sie: »Sie wissen schon, dass die anderen absolut gar nichts tun können, was richtig wäre. Sie würden sich ohnehin gekränkt fühlen, egal wovon.«
»Ich hasse sie«, sage ich.
»Ich weiß.«
»Vielleicht hab ich sie immer gehasst. Vielleicht hab ich nur gedacht, ich würde
Weitere Kostenlose Bücher