Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
verliere das Interesse, noch bevor ich runtergeschluckt habe. Den Rest vergesse ich auf dem Teller; ich weiß, dass er noch da sein wird, kalt und erstarrt, wenn ich später wieder runterkomme.
Ich nehme den Kaffee mit rauf ins Schlafzimmer. Unser Computer, ein billiger alter PC , steht auf einem kleinen Schreibtisch in der Ecke. Die Sachen der Kinder haben unten immer so viel Platz beansprucht, dass der Computer nur in unser Schlafzimmer passte. Ich habe ihn nicht angestellt, seit Betty fort ist, und eigentlich auch vorher wenig benutzt, sondern meist meine E-MailAdresse und den Internetzugang in der Arbeit verwendet. Ich klicke auf Google und gebe Bettys Namen ein.
Die Artikel der überregionalen Zeitungen erzählen mir nichts Neues – es sind nur gründlichere und einfühlsamere Darstellungen dessen, was die Lokalblätter gemeldet haben. Einige Beiträge befassen sich mit dem Thema der Unruhen in der Bevölkerung. In einer Wochenzeitung nimmt ein langer Artikel den Unfall als Aufhänger für ausführliche Überlegungen zu kulturellen Konflikten zwischen verschiedenen Migrantengruppen, die sich in Küstenstädten angesiedelt haben. Bevor ich Betty verloren habe, hätte solch eine Diskussion mein Interesse wecken können, aber jetzt finde ich sie anstößig. Diese Artikel zielen am Thema vorbei. Das Thema ist Betty. Irgendwann finde ich das Foto von ihm, meinem Mr. A., dasselbe, das die Lokalblätter gebracht haben. Ich drucke es aus.
Draußen schwindet das Licht. Der Himmel wechselt rasch von Weiß zu Grau zu mit Lila versetztem Grau … zu Dunkelblau, Schwarz. Der Tag macht dicht. Ein Winterabend sinkt herab, so gewiss wie Regen. Ich ziehe weder die Vorhänge vor, noch mache ich Licht; bald wird das Zimmer nur von dem eckigen Strahlen des Computermonitors beleuchtet. Ich könnte irgendeine Büroangestellte sein, die sich nicht losreißen kann, bevor sie eine Aufgabe beendet hat, oder eine Studentin, die konzentriert an einer Seminararbeit schreibt – an die Tage solcher Versenkung erinnere ich mich, wie die Welt auf die eine Aufgabe vor einem zusammenschrumpft und wie sie sich wieder öffnet, wenn man sich davon losreißt und das Licht anknipst.
Ich greife nach unten zum Drucker, hole das DIN -A4-Blatt mit dem ausgedruckten Foto des Mannes heraus, der meine Tochter getötet hat, in einer fließenden Bewegung, runter und rauf – töricht: das Koffein hat meinen Körper verlassen und wurde durch nichts ersetzt. Von der Bewegung wird mir schwindlig. Wie ich höre, bist du ganz schön verrückt geworden . Arglist vor meinem Fenster, im Dunkeln, ich fühle mich davon angegriffen. Betty ist fort. Rees ist nicht da. Ich stelle ihn mir vor, wie ich ihn am Strand gesehen habe, wie er stolpert und auf die Kiesel plumpst, wie David und Chloe sich gleichzeitig bücken, um ihm lachend aufzuhelfen. Das weiße Lichtrechteck vom Computerbildschirm auf dem Tisch reicht eben noch aus, um Mr. A. betrachten zu können. Er starrt mich aus dem Foto an, mit diesem verhaltenen Lächeln; Boxernase, große Ohrläppchen. Das ist kein unreifer Knabe, sprachlos vor Entsetzen, was er Schreckliches angerichtet hat. Sondern ein Mann.
Ich sehe auf das Foto, versuche seinen Blick zu entziffern, jede Falte in seinem Gesicht, das angedeutete Stirnrunzeln. Vor vier Jahren ist er hier angekommen. Voriges Jahr wurde er nach dem Arbeitsschutzgesetz belangt. Am Strand klopfte Chloe, nachdem sie und David Rees aus seiner sitzenden Haltung auf den Kieselsteinen aufgeholfen hatten, ihm mit einer Hand den Hosenboden ab, immer noch lachend, während ihr die Korkenzieherlocken ins Gesicht fielen. Ich betrachte das Bild so intensiv, wie ein Spion das Gesicht eines Rivalen in einer konkurrierenden Organisation mustern würde. Ich bin ganz ruhig, während ich dieses Gelübde ablege: Ich werde herausfinden, was du liebst, und was es auch ist, ich werde es zu fassen bekommen und dir wegnehmen.
3. Teil
Vorher
8
David durfte sie zuerst halten. Die Hebamme Sheena untersuchte sie gründlich, erklärte sie zu einer perfekten Zehn auf der Apgar-Skala, packte sie ein und reichte sie ihrem Vater. Ich lag flach auf dem hohen Bett, benommen und ungläubig. Sheena und die Hebammenschülerin saßen auf Hockern am Fußende. Im Kreißsaal, der eine hohe Decke hatte, hallte es. Ich hörte Sheena ruhig sagen: »Eigentlich setze ich hier ungern Stiche, weil da jede Menge Nervenenden sind, aber es ist wohl doch besser so.« Das wird mir nicht besonders gefallen, dachte
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