Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
ich; und wie recht ich damit haben sollte.
»Also in alle Richtungen, was?«, rief ich zu ihnen runter, als ich wieder sprechen konnte.
»Ja, leider, aber machen Sie sich keine Sorgen, wir flicken Sie wieder zusammen.« Sheena hob den Kopf und strahlte mich an. »Das kriegen wir alles hin, Sie werden schon sehen.« Sheena und ich hatten drei Jahre lang zusammengearbeitet, bevor ich meine Tochter bekam, und während dieser Zeit hatte sie die Hälfte aller Babys entbunden, die in dieser Stadt zur Welt kamen. Für mich war sie eine Heilige.
Ich drehte den Kopf zu David, der auf dem Stuhl neben meinem Bett saß mit ihr auf dem Arm, unserem Mädchen, und auf sie herablächelte, während sie mich flickten. Sein Gesicht glühte sanft wie im Licht eines Lagerfeuers. Es gehörte einiges dazu, dass es David die Sprache verschlug, aber jetzt war er still, die Lippen aufeinandergepresst, mit so fest verankertem Blick, dass man ihn nur mit der Brechstange hätte lösen können.
Ich hatte fünfzig Milligramm Pethidin bekommen und stellte fest, dass diese Dosis nicht reichte, wenn Muskelrisse genäht werden mussten. Ein neuer Schmerz durchzuckte mich, so scharf und brennend, dass ich nicht ausmachen konnte, woher genau er kam, ihn nur bis tief in mein Inneres spürte. Ich stöhnte laut auf, aber David wandte den Blick nicht von seiner Tochter. Sie war zu dick eingemummelt, als dass ich sie hätte sehen können, doch Davids Gesicht zu betrachten, während er in den Anblick seines neugeborenen kleinen Mädchens versunken war, war fast genauso gut; als wäre sein Gesicht eine spiegelnde Wasseroberfläche. Schließlich durfte ich mich aufsetzen. Sheena schickte die Hebammenschülerin raus, um mir Tee und Toast zu machen, beugte sich dann vor und nahm Betty dem sich sträubenden David vom Arm. »Jetzt kommt die Mama dran, in Ordnung?«, sagte sie energisch. Sie reichte mir Betty. Endlich. Ich schob mein T-Shirt hoch, das ich später wegen der Blutflecken aussortierte, schlug die Tücher, in die sie gewickelt war, ein wenig auseinander und legte mein neugeborenes kleines Mädchen an meine Brust. Sie schaute mit mitternachtsblauen Augen zu mir hoch und saugte sich fest. Auf ihrer Stirn war noch ein wenig Blut. Mit breitem Grinsen sah Sheena zu. »Na, mit dem kleinen Persönchen werden Sie bestimmt keine Probleme kriegen.«
Sheena sollte recht behalten. Wir bekamen nie welche. Es war, als hätte Betty ihre Zeit im Mutterleib damit zugebracht, in aller Seelenruhe Lehrbücher über das Thema durchzublättern, was von einem Neugeborenen erwartet wurde. Sie trank alle vier Stunden. Ihr erstes Lächeln kam genau nach Plan, mit sechs Wochen. Mit drei Monaten konnte sie anstandslos das Köpfchen halten. David und ich waren die stolzesten Eltern der Welt, was eine Menge heißen will, wenn man bedenkt, wie stolz alle Eltern Neugeborener sind. In diesen ersten Monaten hatten wir nur zwei Gesprächsthemen. Das erste war die absolute Überlegenheit unseres Babys über alle anderen Babys, die jemals das Licht der Welt erblickt hatten, das zweite die absolute Überlegenheit unserer Erziehung über die aller anderen Eltern. In der Rückbildungsgymnastik und in Babygruppen hörte ich mir die Geschichten anderer Mütter mit einem Lächeln an – wie ihre Babys die ganze Nacht wach blieben, wie sie einfach nicht trinken wollten, wie sie von den Antibiotika, die die Mütter gegen Brustentzündung nehmen mussten, Ausschlag bekamen. Wenn ich nach Hause kam, unterhielt ich David mit allen Einzelheiten dieser Gespräche; dann saßen wir am Abendbrottisch und zerpflückten kopfschüttelnd eine Klage nach der anderen. Warum stellten andere Eltern sich so an? Was stimmte mit denen nicht?
Betty war achtzehn Monate alt, als ich den Anruf aus dem Heim erhielt. Ich hatte seit so langer Zeit damit gerechnet, dass ich schon nicht mehr damit rechnete, und als es dann passierte, erfasste mich ein seltsames Schwindelgefühl, ähnlich dem, das ich verspürt hatte, als David mich über den Klippenrand hielt: ein Gefühl von Schwäche und innerer Leere. »Es tut mir unendlich leid«, sagte der anrufende Arzt. »Ich habe sehr schlechte Nachrichten für Sie.« Meine Mutter war seit Jahren gebrechlich gewesen. Am Ende wurde sie von einem Atemwegsinfekt dahingerafft.
Meine Mutter gehörte nicht zu meinem Alltag – sie hatte nie meine kleine Tochter mit mir baden oder auf sie aufpassen können. Ihre Abwesenheit fehlte mir mehr als ihre Anwesenheit. Mir fehlte die Mutter,
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