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Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love

Titel: Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Doughty
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Gegenüber von meinem Schreibtisch steht der Stuhl für meine Patienten, an der Wand die Untersuchungsliege mit dem Hängeschrank darüber. In der Ecke hinter dem Schreibtisch ein Aktenvernichter und der Abfalleimer, den ich für Recyclingmüll verwende. Es ist nicht dasselbe Büro, in dem David mich vor all den Jahren das erste Mal besuchte – das lag im Hauptgebäude –, nimmt sich aber nicht viel in puncto Nüchternheit und Anonymität. Dies war der unveränderliche Rahmen meines Lebens, diese unpersönliche Leere, und trotz allem, was mir zugestoßen ist, wartet er immer noch hier auf mich. Ich empfinde wieder, was mich oben auf den Klippen überkommt: Zeit, zusammengefaltet und auseinandergezogen, zusammengefaltet und auseinandergezogen wie eins dieser Papierschiffchen, die Kinder machen. Sag eine Zahl … sag noch eine Zahl … eine x-beliebige Wahl ordnet einem ein Tier zu, das man spielen, oder eine Aufgabe, die man ausführen soll, so simpel und zufällig gleiten wir hin und her zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir sein könnten.
    Und dann ist da das Fenster, ein vollkommen schwarzer Spiegel, in dem mein Ebenbild steht, mich ansieht, nichts dahinter, nichts draußen.
    Ich lege den Schalter um. Die Neonröhre macht ein surrendes Geräusch und erlischt. Ich bin im Dunkeln. Mit einer Drehung in den Korridor, um zurückzugehen, schließe ich die Bürotür hinter mir. Das einzige Licht kommt aus dem Empfangsbereich, und während ich gehe, sehe ich einen Umriss in diesem Licht flattern, eine graue Gestalt, die sich in dem gelben Schein hastig bewegt, klein und leichtfüßig, als wäre am anderen Ende des Korridors ein Lebewesen in Deckung gegangen. Rasch überquere ich den dünnen Teppichboden, der immer so viel statische Energie erzeugt, dass meine Haare elektrisiert sind und ich einen kleinen Schlag bekomme, wenn ich etwas Metallisches anfasse und damit die Ladung erde. Der Empfangsbereich ist leer. Die Gestalt muss in die Küche abgetaucht sein. Mit großen Schritten gehe ich zur Küchentür und stoße sie auf. Die Küche ist leer. »Betty?«, frage ich hoffnungsvoll ins Dunkel.
    Als ich nach Hause komme, zittere ich vor Kälte. Ich stelle den Wasserkocher an. Während er summt, fällt mir ein, wie ich am Anfang unserer Ehe, noch bevor wir Kinder hatten, eine starke Erkältung bekam, die ich Grippe nannte, um mehr Aufmerksamkeit von David zu bekommen. Es war schwer, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, wenn er abgelenkt war, da musste man manchmal ein wenig übertreiben, mit etwas, das seinen Beschützerinstinkt ansprach. Davids Reaktion auf jedes Problem bestand darin, es zu lösen. Als ich ihm also sagte, dass ich wohl die Grippe hätte, machte er mir einen Grog. Was hat er hineingetan?, versuche ich mich zu erinnern, während das Wasser heiß wird: Zitronensaft, Honig – Whisky. Ich ziehe einen Stuhl zum Küchenschrank über der Kühl-Gefrier-Kombi. Unsere paar Flaschen mit Spirituosen bewahrten wir immer dort oben auf, in Sicherheit vor den Kindern; »in Sicherheit vor mir«, pflegte David zu sagen, aber wir waren beide keine großen Trinker. In unserer Studentenzeit schon, alle beide, Bier und Chips im Pub, freitagabends Wein zum Essen, wenn wir in gehobener Stimmung waren. Unser Geschmack an Alkohol entwickelte sich nie weiter.
    Ich hole die Whiskyflasche runter, die staubig ist, obwohl sie in einem Schrank stand. Dann schnappe ich mir eine große weiße Tasse. Natürlich habe ich keine Zitrone im Kühlschrank – ich habe seit Wochen nichts Frisches mehr eingekauft –, aber ich weiß, dass irgendwo hinten im Kräuter- und Gewürzregal ein grünes Fläschchen mit einer gelblichen Flüssigkeit voller Konservierungsstoffe steht, die von sich behauptet, ein Zitronenersatz zu sein.
    Unser Wasserkocher ist träge. In der Wartezeit schaue ich nach dem Anrufbeantworter. Ich höre eine Nachricht von Tante Lorraine ab, die sich bemüht fröhlich erkundigt, warum wir so lange nicht mehr miteinander gesprochen haben. Mir fällt ein, dass ich das Handy in meiner Handtasche abgeschaltet habe. Als ich es anstelle, entdecke ich drei Anrufe in Abwesenheit von David. Erst beim letzten hat er eine kurze Nachricht hinterlassen, nämlich: »Hallo, ich bin’s. Kannst du mich zurückrufen? Auf dem Handy.« Im Hintergrund ist ein undefinierbares Geräusch zu hören.
    Das ist ungewöhnlich. Nach unserer schlimmen Phase bestand David darauf, dass ich ihn besser abends zu Hause anrief als während der Arbeit oder auf

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