Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
das getrocknete Seegras, das man auf Jersey seit jeher zum Düngen der Felder benutzte. »Also im Ernst, Debbie – wenn du jemanden zum Reden brauchst …«
»Ich komm schon allein klar«, antwortete Debbie und hob trotzig ihr Kinn. »Sie wissen doch, unsere Familie ist ganz groß, wenn es darum geht, allein zurechtzukommen.«
Mrs. Bloom lachte leise. »Oh ja! Darin seid ihr wirklich Weltmeister.« Kopfschüttelnd fügte sie hinzu: »Es ist nicht zu glauben – du bist Mary-Ann so was von ähnlich! Weißt du das eigentlich?«
Debbie zuckte etwas verloren mit den Schultern. »Ich wünschte, es wäre so … Mum hätte bestimmt nicht so viele Fehler gemacht wie ich … Sie ist viel zu früh gestorben.«
»Das kann man wohl sagen.«
Mit traurigem Nicken und zusammengekniffenem Mund, so als würde sie sich über die Gemeinheit des Schicksals, dass Menschen sterben mussten, sehr ärgern, stellte Mrs. Bloom den Kragen ihrer Windjacke auf und schaute in den Himmel. Trotz des strahlenden Wetters wehte ein scharfer Wind durch die Straßen.
Sie gingen über einen Zebrastreifen und konnten jetzt den Jachthafen und die kleine Insel mit den Ruinen des alten Elizabeth Castle sehen. Draußen auf dem offenen Meer zog ein weißes Kreuzfahrtschiff vorbei, was wegen des extremen Tidenhubs von fast vierzig Fuß nur sehr selten vorkam. Es war ein erhabener Anblick.
Debbie schaute auf die Uhr und erschrak.
»Oje, ich müsste schon längst im Büro sein.«
»Dann lass uns ein bisschen schneller gehen.«
Als sie die Pier Road erreichten, zeigte Debbie plötzlich nach rechts auf ein heruntergekommen wirkendes mehrstöckiges Wohnhaus. An der Fassade bröckelte der schmutzig graue Putz, neben der Haustür quollen die Müllcontainer über. Aus einem der Fenster lehnte sich ein alter Mann im Unterhemd.
»In dem Haus wird demnächst ein großes Apartment frei. Ich überlege, ob ich da einziehe. Das wäre näher an meiner Bank.«
Mrs. Bloom erschrak. »In den hässlichen Schuppen? Da wohnst du jetzt aber schöner.«
Debbie seufzte. »Ich weiß. Aber die neue Wohnung wäre erheblich billiger. Die andere habe ich damals ja nur wegen David genommen …«
»Ach so … Daran habe ich nicht gedacht …« Mrs. Bloom sah, dass Debbie mit den Tränen kämpfte. Mitfühlend fragte sie: »Ist es immer noch so schlimm?«
Debbie zuckte mit den Schultern.
»Mein Leben geht irgendwie weiter …«, sagte sie traurig. »Mehr aber auch nicht.«
»Und das ist zu wenig, um wieder glücklich zu werden, oder?«
»Vielleicht ist ja mein neuer Job bei der West Island Bank ein guter Anfang.« Sie machte eine kurze Pause und lächelte zaghaft. »Ich versuch’s wenigstens.«
»Ich wünsche es dir von Herzen«, sagte Mrs. Bloom. Ihre Augen strahlten eine ehrliche Anteilnahme aus, die Debbie guttat. »Gerade weil du David so geliebt hast, musst du lernen, ihn loszulassen – ohne ihn zu vergessen. Das musste ich auch erst lernen, als ich meinen Mann verloren hatte.«
Debbie nickte. »Und trotzdem … Egal, wie ich mich ablenke …« Debbie suchte zögernd nach den richtigen Worten. »Alles bleibt … so leer. In Wirklichkeit denke ich den ganzen Tag an ihn. Ich gehe jeden Morgen vor dem Büro zum Friedhof, bete für ihn und hoffe, dass ich irgendwann alles begreife. Aber ich mache Fortschritte. Ich weiß jetzt von Dingen, die ich vorher nicht wusste.«
Mrs. Bloom wurde hellhörig. »Darf ich fragen, was das für Fortschritte sind? In psychologischer Hinsicht? Indem du den Tod deines Kindes besser verarbeiten kannst?«
Debbie wich aus.
Plötzlich klingelte das Handy in ihrer Handtasche. Sie blieb stehen, griff hektisch in das kleine Fach neben Schminkzeug, Geldbörse und Babyfotos und fischte ihr Telefon heraus.
Mrs. Bloom schaute wartend zu, wie Debbie das Handy ans Ohr drückte. Es war pinkfarben.
»Debbie Farrow … Ja?« Sie wandte sich ab und ging ein paar Schritte bis zum nächsten Schaufenster, wo sie sich ungestört glaubte.
Mrs. Bloom bemerkte, dass Debbies Gesichtsausdruck sich schlagartig änderte, während sie zuhörte. Ihre Stirn legte sich in Falten, gleichzeitig erhielt ihr Mund einen trotzigen, kämpferischen Zug. Im Nu war aus der lieben Debbie eine kleine Furie geworden.
»Natürlich müssen wir uns treffen!«, fauchte sie in den Hörer. »Wo, ist mir egal … Um wie viel Uhr? … Von mir aus. Ich muss sehen, ob ich das schaffe … Nein, das werde ich dir garantiert nicht sagen! Und wehe, du bist nicht pünktlich!«
Mrs. Bloom gab
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