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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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Richtung.
    Als die Granate seine Hand verließ, drückte ich den Abzug und versuchte, so zu handeln wie auf einem Schießstand. Und wie auf dem Schießstand widersetzte ich mich dem Schuss. Ich drückte den Abzug mit einem Ruck statt langsam, erwartete den Rückstoß gegen die Schulter und senkte den Lauf ganz leicht, als der Schuss losging. Die Kugel traf den Rand des Lochs und drang in die Brust des Jungen. Erde spritzte ihm ins Gesicht und gegen den Körper.
    Mein Gefühl dabei? Es war mir
peinlich,
dass ich den Schuss zu tief gehalten und ihn nicht richtig getroffen hatte. Es ärgerte mich, dass ich so dumm gewesen war, mein Gewehr nicht auf vollautomatisch zu stellen. Ich wusste sofort, hätte ich nicht versucht, den Scharfschützen zu spielen, hätte der fortlaufende Rückstoß den Lauf des Gewehres angehoben und mehrere Kugeln in gerader Linie in Kopf und Brust des Jungen geschickt.
    Ich ließ meinem ersten Schuss noch zwei, drei weitere hastige, ungezielte Schüsse folgen und rollte mich zur Seite, weil die Granate jetzt direkt über mir den Hang hinunterholperte und jeden Moment explodieren musste. Mein erster Schuss musste ihn ziemlich sicher getroffen haben, falls er nicht abgelenkt worden war, und auch die drei weiteren, wild abgegebenen Schüsse konnten ihn erwischt haben. Ich werde nie sicher wissen, ob ich ihn tödlich getroffen habe, denn schon kam Ohio rechts hinter dem Vorsprung hervor, leerte das halbe Magazin auf den Soldaten und warf sich in den Dreck, als die Chi-comm ein Stück unter mir auf dem steilen Abhang detonierte.
    Meine Gefühle in dem Moment? Es war angenehm und befriedigend zu sehen, dass Ohio den Jungen mit einer vollautomatischen Salve zerfetzte. Und ich lebte noch! Das fühlte sich fraglos gut an. Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur Erfüllung unserer Mission war aus dem Weg geräumt. Auch das fühlte sich gut an. Überhaupt war es angenehm gewesen, den Jungen aus dem Weg zu räumen.
Und jetzt nimm den Rest, du
 

(setzen Sie hier einen Namen ein, der auf was auch immer passt, nur nicht auf einen anderen Menschen). Im Gefecht bewegt man sich im Ausnahmezustand, in einer Verfassung, in der es einen mit einer primitiven, wilden Freude erfüllt, den Gegner zu erwischen.
    In einem Radiointerview im April 1993 erzählte Jane Goodall auf ziemlich bewegende Weise, wie sie miterlebt hatte, wie ihr kleiner Stamm friedlicher Schimpansen einem anderen den Krieg erklärte und ihn rücksichtslos auslöschte. Bis dahin hatte sie angenommen, Schimpansen seien den Menschen in dieser Hinsicht überlegen. Aber als es zum Kampf um das Territorium kam, musste sie Dinge mit ansehen, die nur als Gräueltaten beschrieben werden können. Die gegnerischen Schimpansen wurden brutal zu Boden geworfen, mit Keulen geschlagen und durch die Luft gewirbelt, um ihnen die Schädel zu zertrümmern. Es ging nicht darum, sie zu vertreiben, sie sollten ausgelöscht werden. Ich fürchte, ich weiß, wie sich die siegreichen Schimpansen fühlten. Ich habe eine sehr primatenhafte Seite, wobei ich denke, die haben wir alle. Nur haben wir so große Angst vor ihr, dass wir es vorziehen, ihre Existenz zu verleugnen. Das allerdings ist gefährlicher, als sie anzuerkennen, denn damit befindet sich der »Killer«, dieser irre Primat in uns, nicht unter unserer Kontrolle. So kann ein guter Baptist beim Lynchen erwischt werden. So kann ein Friedensaktivist einen Polizisten mit einer Autobombe umbringen.
    Mein Funker und ich, wir überlebten die Explosion, auch wenn ich ein paar Schrapnellsplitter hinten in die Beine bekam. Sie fühlten sich wie Stiche von Bienen an, heiß und vielzählig, aber ich war so voller Adrenalin, dass sie mich nicht langsamer machten. Als ich nach der Explosion den Kopf hob, war der Vietnamese tot. Ich spürte Erleichterung. »Keine Granaten mehr!« Ich kroch den Hang weiter hinauf, um auch die nächste Stellung einzunehmen, vergaß den Vorfall und musste erst Jahre später wieder daran denken.
    Heute verbindet sich die Erinnerung daran mit allen möglichen Gefühlen. Angenommen, es wäre einer meiner Söhne gewesen, Peter oder Alex, in der Falle und voller Angst, als die riesigen als rücksichtslos, ja sogar wahnsinnig bekannten amerikanischen Marines einer nach dem anderen aus dem Dschungel kamen, auf den Hang ausschwärmten und seine Freunde in den Löchern um ihn herum töteten. Und dann sind zwei direkt unter ihm. Verzweifelt versucht er, eine Granate in die Vertiefung des Hanges zu werfen, in

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