Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Zuschauersport geworden. Heute werfe ich denen drüben ihren Jubel nicht mehr vor. Sie reagierten unbewusst mit dem gleichen eingebauten psychologischen Mechanismus, mit dem ein Touchdown von den Zuschauern auf den Rängen begrüßt wird. Wahrscheinlich wäre es mir genauso gegangen. Aber damals brachte es mich in Wut. Ich hatte beinahe mein Leben verloren, einige meiner Freunde und mein geachteter Feind waren tatsächlich gestorben, viele zum Krüppel gemacht worden. Es kam mir falsch vor, dass die Leute auf dem anderen Hügel das gleiche Gefühl genießen sollten wie bei einem Sieg der heimischen Footballmannschaft. Ich fühlte mich entweiht. Ich hatte das Gefühl, dass mir etwas Heiliges gestohlen worden war, mir, meinen Freunden und dem Feind. Unser wirkliches Opfer. Ich fühlte mich betrogen.
Ich bin mir bewusst, dass unsere Körper das Ergebnis von vielen Millionen Jahren Evolution sind und über einige feste Reaktionen verfügen. Die Wahl, der wir uns stellen müssen, ist, ob wir je die Selbstdisziplin und das Bewusstsein dafür entwickeln wollen, diese Reaktionen produktiv umzusetzen, oder ob wir ihnen auch weiter erlauben wollen, unser Anstandsgefühl niederzukämpfen.
Leute, die tatsächlich kämpfen und Schlachten gewinnen, werden wohl nicht so leicht jubeln, wenn sie das Touchdown-Gefühl erfüllt, ganz gleich, wie stark es ist. Ich habe nie jemanden jubeln hören, der mit in die Kämpfe verwickelt war, denn das alles überschattende Gefühl auch nach einem Sieg ist ein Gefühl tauber Erschöpfung.
Eines Abends trieben Grandpa Axel und ich es ein Stück zu weit. Wir fingen Fische, sehr viele, und ein Sturm zog auf. Nur noch ein Mal das Netz ausbringen, nur noch ein Mal …
Es war finster. Das Wasser schlug mit kurzen, harten Wellen gegen das Boot, der Wind frischte auf. Das mehrere Hundert Meter große Stellnetz erschien mir immer kilometerlang, selbst bei gutem Wetter, da ich der Teil unserer Zwei-Mann-Crew war, den man den »Bootszieher« nannte, Grandpa war der Kapitän. Ein Stellnetz-Boot ist etwa dreißig Fuß, also knapp zehn Meter, lang, am Bug offen, hat hinten einen kleinen Aufbau und einen Vier- oder Sechs-Zylinder-Schiffsmotor, manchmal auch einen alten Traktormotor, was vom Wohlstand des Fischers abhängt. In einem Boot dieser Größe zieht man das Netz nicht ins Boot, dazu ist es viel zu schwer. Stattdessen zieht man das Boot am Netz entlang und gleitet unter das Netz, um es ins Boot zu bekommen, woher der Begriff »Bootszieher« kommt.
Wir brachten das Netz aus, banden das Boot ans Ende, trieben dahin und warteten auf den Lachs.
Plopp, plopp.
Wir konnten das befriedigende Geräusch der Korkleine hören, die jedes Mal unter Wasser gezogen wurde, wenn ein schnell dahinschwimmender Lachs in die Maschen ging.
Der Regen wurde dichter. Die Sicht verschlechterte sich.
Plopp.
Mehr Geld. Rotlachs brachte 33 Cent das Pfund. Jedes
Plopp
war ein Dollar.
Plopp.
Es war wie eine Gelddruckmaschine.
Plopp. Plopp.
Plötzlich hob eine große Woge das kleine Boot an und drückte das Dollbord, weil der Bug ans Netz gebunden war, gefährlich tief. Der Wind peitschte uns kalten Regen ins Gesicht, und die sowieso schon dunkle Nacht wurde pechschwarz, allein das schwache, batteriegespeiste Weiß des Landelichts oben auf dem Aufbau war noch zu sehen.
Plopps
waren keine mehr zu hören.
Mit meinen erst vierzehn Jahren hatte ich noch nicht viel schlechtes Wetter erlebt, Axel schon. Ich sah seine grimmige Miene, die zusammengebissenen Kiefer, als er nach vorne gehumpelt kam, um den Bug vom Netz loszubinden. Das Humpeln zeigte, was für ein Mann er war. Einige Winter vorher, als es nicht genug Fisch gab, hatte er Baumstämme geflößt, war zwischen zwei mächtige Flöße aus zusammengebundenen Stämmen geraten und hatte sich beide Beine zerquetscht. Er schwamm ans Ufer, kroch fast drei Kilometer zu seinem Wagen und fuhr selbst (sein Wagen hatte ein Schaltgetriebe, keine Automatik) zum Krankenhaus, wo sie ihm ein Bein direkt unter dem Knie amputieren mussten. Habe ich im Bootcamp wirklich gelernt, Schmerzen zu ignorieren?
Wenn Grandpa Axel sich sorgte, bekam ich eine Riesenangst.
Wir begannen, das Netz einzuholen. Das Boot wand sich wie ein bockendes Pferd und stieg eine kurz vorm Brechen stehende Welle hinauf. Ihr Kamm war weiß eingefärbt, und ich wäre beinahe über Bord gespült worden, wobei ich verzweifelt versuchte, das Netz nicht aus dem Griff zu verlieren. Dann ging es in die Tiefe, und ich holte
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