Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
leugnen, desto verletzlicher werden wir für ihn. Wir Amerikaner waren in Vietnam und den nachfolgenden Jahrzehnten ziemlich gut im Verleugnen. Während des Zweiten Weltkriegs genoss der Krieger oder Soldat ein hohes Ansehen in der amerikanischen Gesellschaft. Unsere Jungs in Uniform galten als Helden, sie waren die Guten, ein mustergültiger Trupp Kaugummi kauender, Cola trinkender, Jitterbug tanzender Amateure, die dem japanischen Militarismus und der Brutalität der Nazis den Garaus machten. MacArthur war ein Idol, Ike liebten wir, und wir ließen die Schattenkrieger all die Dinge tun, über die wir nicht bewusst nachdenken wollten, zum Beispiel in Papphäusern lebende, japanische Zivilisten mit Brandbomben überziehen oder Dresden in Schutt und Asche legen, obwohl es längst nicht mehr nötig gewesen wäre. Immer noch vom Bild des weißen Ritters erfüllt, führten wir in den 50 ern und 60 ern dann fiese kleine Unternehmungen durch, die wir damit rechtfertigten, »das Übel des Kommunismus« bekämpfen zu müssen. All das, zusammen mit einem Bündel fadenscheiniger Begründungen, führte am Ende dazu, dass uns Präsident Lyndon B. Johnson erklärte, wir hätten dem »kleinen Dreckskerl« Ho Chi Minh eine Lehre zu erteilen. Anschließend begannen wir, einige schwer zu verarbeitende Dinge im Fernsehen zu sehen, aber statt zu akzeptieren, dass diese schreckliche Wirklichkeit das Ergebnis unseres übersteigerten Selbstbildes war, das Gute zu verkörpern, und wir unsere eigenen verhassten Nazis und Tojos in uns trugen, war es leichter, die Finsternis allein den Leuten zuzuschreiben, die wir in den Kampf geschickt hatten. Als die Vietnam-Veteranen zurückkamen, fingen sie sich dann jedermanns Schatten und galten als Rauschgift spritzende, Koks schnüffelnde, Kinder mordende Söldner. Das waren sie aber nicht. Sie hatten ihren Kampf geführt, gingen arbeiten und versorgten ihre Familien ebenso gut, wie es ihre Veteranenväter vor ihnen getan hatten. In Rudyard Kiplings Gedicht
Tommy
geht es nicht um Dankbarkeit, sondern eine innere Einstellung.
Wo ist der Schatten heute, nach dem Irakkrieg? Nehmen wir nur das Gefängnis von Abu Ghraib. Aber er versteckt sich immer wieder, genau wie im ersten Irakkrieg und im Zweiten Weltkrieg, es sei denn, wir machen uns die Abgründe bewusst. Wir beginnen damit, Lebensmitteltransporte in Somalia zu schützen, »retten« das Land dann vor den üblen Warlords, und die Mission endet in einer blutigen Demütigung. Wir nehmen an, wir müssten vom irakischen Volk wie weiße Ritter dafür bejubelt werden, dass wir ohne Plan für die Besatzung das Land erobern und selbstgerecht alle Institutionen zur Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz auflösen, weil sie mit Baathisten besetzt sind. Es folgen Jahre des Chaos und blutiger Anschläge. Infrage steht dadurch nicht so sehr die ursprüngliche Handlung, viel entscheidender ist die selbstgerechte Haltung, mit der sie durchgeführt wurde. In ihr liegt die Gefahr. Unser Land sollte sich weniger darum sorgen, das Vietnam-Syndrom zu überwinden, viel wichtiger wäre es, das im Zweiten Weltkrieg entstandene Sieger-Syndrom zu erkennen, durch das das Vietnam-Syndrom überhaupt erst entstanden ist. Wer »Vorwärts, Christi Streiter« singend in den Krieg zieht, ruft den Teufel auf den Plan.
Es geht immer wieder um Schattenthemen. Der Schatten lässt sich nicht abschütteln. Wir müssen mit ihm leben. Er gehört zu uns, ihn zu haben ist weder gut noch böse, wenn auch sehr schwierig. Es tut niemandem weh, dass ich einen faulen Sarge in mir habe, der sein Marihuana raucht und auf der Couch liegt. Kritisch wird es erst, wenn ich mein Kind anschreie, weil es auf der Couch herumhängt, gerade so, wie ich es selbst als Sarge gern tun würde. Dann verhalte ich mich wegen meines Schattens böse. Ich werde Sarge nie loswerden. Ihn abzulehnen und noch tiefer in mein psychisches Gepäck zu stopfen, macht es nur wahrscheinlicher, dass ich meine Kinder anschreie oder sonst jemanden angreife, Menschen, die von Sozialhilfe leben, zum Beispiel, die meinen Sarge verkörpern und die ich deshalb dann ablehne.
Wir alle haben Schmutz an den Schuhen. Wir müssen es nur begreifen, damit wir ihn nicht ins Haus tragen. Und wir müssen ihm Rechnung tragen, wenn wir die Kämpfer für diese Gesellschaft ausbilden: Soldaten, Polizisten und Sicherheitsbeamte. Wir müssen uns die Zeit nehmen, diese Menschen auf ihre Schatten aufmerksam zu machen, und ihnen zeigen, dass sie
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