Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Kriegserlebnisse, die meinen sich wiederholenden Albtraum so verschlimmerten, dass er stark genug wurde, meine Aufmerksamkeit zu erregen und mir klarzumachen, dass etwas mit mir nicht ganz stimmte. Ich trug den Feind in mir.
Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, trägt ein Äquivalent meines »inneren Schlitzauges« in sich. C.G. Jung spricht von unserem Schatten. Wer sagt, er habe keinen, hat tatsächlich noch einen größeren.
Jener NVA -Soldat und ich haben am Ben-Hai-Fluss gekämpft, der Trennlinie zwischen Nordvietnam und Südvietnam – und der Traum beschreibt die Trennlinie zwischen der Welt, in der ich, wie alle, erwarte, ein guter Footballer zu werden und einen einflussreichen, hoch bezahlten Job zu bekommen, und jener anderen Welt, in der ich mich, die Eigenschaften, die ich an mir hasse, verstecke und zu vergessen versuche.
Auch wenn wir alle Schatten haben, sind es doch nicht die gleichen. Mein eigener Schatten trägt viele Masken. Ich bin ein starker Mann – mein Schatten ist ein weibischer Jammerer. Ich bin ein harter Arbeiter – in meinen Träumen besucht mich »Sarge«, ein fauler, Marihuana rauchender Deserteur und Liebhaber. Er hat zwei sinnliche, geschmeidige Freundinnen. Ich habe keine Angst, eine Herausforderung anzunehmen – mein Schatten hat ständig Angst zu versagen. Was gibt es für einen besseren Weg, diese Schatten zu bekämpfen, als zu den Marines zu gehen und mir zu beweisen, dass es sie nicht gibt? Nachdem ich die Marines wieder verlassen hatte, fand ich ähnliche Herausforderungen, wieder und wieder. Ich machte genug gleißendes Licht, um die Schatten in Zaum zu halten und mich blind für sie zu machen.
Der Soldat in meinem Traum schneidet mir die Handgelenke mit einer Rasierklinge auf, was ein Bild für einen Selbstmord ist. Je mehr ich mich bemühe, ihn umzubringen, desto mehr Blut verliere ich selbst. Nach meiner Rückkehr aus Vietnam habe ich einige alte und liebe Freunde und eine Frau verloren, die ich geliebt habe. Ich habe sie verloren, weil sie sagten, ich sei kalt und gefühllos geworden. Wenn mich jemand fragte, wie es mir gehe, sagte ich: »Bestens.« Und so war es tatsächlich. Ich wohnte in der Unterkunft eines Colonels im Hauptquartier des Marine Corps [30] , besaß genug Orden, um alles eigenwillige Verhalten zu entschuldigen, und nutzte die Situation weidlich aus. Nach außen hin sah alles gut aus, aber innerlich war ich tot.
Um mich dennoch lebendig zu fühlen und gleichzeitig dem Schmerz zu entgehen, den es bedeutete, der Finsternis in mir und den dunklen Bedürfnissen zu begegnen, die ich mit mir herumtrug, kam ich auf eine kreative, individuelle Lösung. Ich flüchtete mich in Drogen, Alkohol und Sex, wobei ich es nie zu schlimm trieb. Meinen Job bekam ich immer erledigt, so schwer es mir mitunter fiel. Nach einer Nacht voller Drogen kam ich am nächsten Tag manchmal nicht von meinem Schreibtischstuhl hoch, draußen vorm Fenster wand sich die Key Bridge wie eine Sinuskurve über den Potomac, ich benutzte meine Augen wie Zoom-Linsen, fuhr nahe an die Dinge heran und wieder weg von ihnen, nahe heran und wieder weg. Manchmal veränderten die Wände ihre Farbe. Lieutenant Marlantes ging es dennoch bestens. [31]
Ich freundete mich mit einem Hubschrauberpiloten der Marines an, der seit seiner Zeit in Vietnam ein so schlimmer Alkoholiker war, dass ich immer wieder morgens in seine Wohnung musste, um ihn in seine Uniform zu stecken und zur Arbeit zu bringen. Wir gingen auf Partys, wo alle zu abgestumpft waren, um zu reden, und zu high, als dass es ihnen etwas ausgemacht hätte. Eines Sonntagmorgens wurde ich nach einer dieser Partys vom Telefon geweckt. Es war der Pilotenmann der Frau, die neben mir lag. Er rief an, weil er wissen wollte, ob sie mit den Kindern in die Kirche gehen würde. Ich versuchte, den coolen Lover zu geben, als sie sich anzog, um zu gehen. Dabei fühlte ich mich traurig, und mir kam alles falsch vor. Ich spürte ihre Beschämung, sah, dass ihre Gesichtshaut schlaff und trocken zu werden begann, und sie sah, dass ich es sah. Es war das letzte Mal, dass ich mit einer Frau ins Bett ging, die ich nicht kannte.
Man muss nicht in den Krieg ziehen, um Menschen zu begegnen, die vor ihren Schatten fliehen oder sie bekämpfen und in ihren Träumen die Handgelenke aufgeschnitten bekommen. Ich riss mich zusammen, heiratete, hörte auf, Drogen zu nehmen, und schaffte den Aufstieg in eine kleine Gruppe mit gutem Einkommen, stieg in erstklassigen Hotels ab,
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