Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
Vom Netzwerk:
ganzen Krieg über unablässig um diese Bergkette. Würdigere Gegner waren kaum zu finden.
    Wir hatten die Anhöhe angegriffen und eingenommen, von der ich schon in Kapitel  2 berichtet habe. Dabei hatten wir fünfzehn Tote und dreißig Verwundete zu beklagen, die wir wegen der Monsunwolken nicht ausfliegen konnten. Tags darauf wurde uns befohlen, den angrenzenden Hügel einzunehmen. Ich war mittlerweile zum Executive Officer, kurz XO [32] , aufgestiegen und blieb mit einer kleinen Gruppe zurück, um unsere Toten und Verwundeten vom Vortag zu schützen. Der Rest der Kompanie stürmte den zweiten Hügel, und während dieses Sturmes kam es zu einem bedeutenden Tod.
    »Canada« war ein großer, gut aussehender Junge aus British Columbia. [33] Er war einen Meter fünfundneunzig groß, und sein Dschungelgewicht lag bei über neunzig Kilo, und er trug ein abgespecktes, abgesägtes M 60 -Maschinengewehr, an dessen Lauf ein Holzgriff geschweißt worden war, damit er es kontrollieren konnte, ohne sich die Hände zu verbrennen. Dazu hatte er sich eine komische Konstruktion mit zwei Patronengurtbehältern zurechtgebastelt, die ihm um den Hals hingen und aus denen sich das Gewehr von links und von rechts füttern ließ. Das alles hatte ein unglaubliches Gewicht. Ein M 60 -Maschinengewehr gilt normalerweise als eine mannschaftsbetriebene Waffe, was bedeutet, dass es von zwei oder drei Männern getragen und mit Munition gefüttert wird.
    Einmal, ein paar Monate vor dem Vorfall, den ich beschreiben werde, waren wir aus dem Busch gekommen, um eine Artilleriestellung zu schützen. Einer der Artilleristen machte sich über Canada lustig, nicht ihm selbst gegenüber, sondern vor ein paar Jungs aus unserer Kompanie, und meinte, das alles sei der reine »John-Wayne-Schwachsinn«. Niemand könne mit einem frei in der Hand gehaltenen M 60 genau schießen, besonders nicht, wenn er dabei auch noch aufrecht stehe. [34] Canada hörte davon, was wahrscheinlich beabsichtigt gewesen war, und er war nicht der Typ, der eine Herausforderung unbeantwortet ließ. Also hängte er sich die beiden extrem schweren Munitionskästen mit den sorgfältig aufgerollten Gurten über die Schultern und sicherte sie mit seiner speziell erdachten Konstruktion vor der Brust. Dann nahm er das Maschinengewehr, ging hinüber zu den um ihre Haubitzen sitzenden Artilleristen, die sich das Maul zerrissen hatten, und bewegte die Spannvorrichtung auf dem Verschluss vor und zurück. Niemand sagte etwas über John Wayne.
    »Wie ich höre, denkt ihr, ich kann mit dem Ding nicht schießen.«
    »Das kann jeder«, erwiderte einer darauf. »Die Frage ist nur, ob er auch was damit trifft.«
    »Probieren wir’s doch«, sagte Canada.
    Gefolgt von einer kleinen Gruppe, ging er ein Stück den Hang hinunter, bis an die Grenze der Stellung. Unten angekommen, zog er den Gurt aus einem der Kästen, schob ihn in die Zuführung und lud durch. Er nickte dem nächsten Artilleristen zu und sagte: »Zeige auf etwas.« Die Leute gingen in Deckung und schrien: »Probefeuer! Probefeuer!« [35] Der Artillerist deutete auf eine leere Rationskiste in etwa dreißig Metern Entfernung. Canada zerfetzte sie mit der ersten Salve. Dann zeigte er selbst auf einen zerbombten Baum, der noch etwas weiter weg stand. Er traf auch ihn mit der ersten Salve und zerschoss ihn vollkommen, aufrecht den Rückstoß der Waffe auffangend, bis der gesamte Gurt verfeuert war. Anschließend sicherte er das Gewehr, nahm den leer geschossenen Gurt und ging ohne ein Wort zurück zu seiner Position. Er war ein ebenso begabter Schauspieler wie Maschinengewehrschütze.
    Canada machte gern den ersten Mann bei einer Patrouille, wenigstens sagte er das. [36] Auf jeden Fall übernahm er den Job öfter, als er gemusst hätte. Wenn er je außerhalb des Dschungels mit der Nachhut ging, konnte man sich darauf verlassen, dass er eine Kiste
long-rats
[37] klaute, von denen er den Großteil verschenkte. Wenn wir von einer Operation zurückkamen, verschwand er gelegentlich. Das Gerücht ging, dass er in einem Buru-Dorf eine Frau hatte. Ob es nun so war oder nicht, Canada war ein Mann, der zu solchen Gerüchten einlud. Trotz seiner gelegentlichen geheimnisvollen Abwesenheiten verpasste er nicht einen Kampfeinsatz und war mit seiner unglaublichen Waffe, für die nur wenige auch nur die Kraft besessen hätten, immer vorne dabei. Canada war der Mann, den man sich an seiner Seite wünschte.
    Während des ersten Teils des Angriffes auf den zweiten

Weitere Kostenlose Bücher