Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
gleichen Russen, die die Leichen der jungen Finnen begraben, in deren Land sie brutal einmarschiert sind. Solche Rituale hätten in der Tat gewiss nur gesunde Folgen.
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5 Der Feind von innen
Unter normalen Umständen manifestieren sich die unterdrückten und ungeliebten Teile unserer Persönlichkeit in kleinen menschlichen Marotten oder Charakterschwächen, die kaum schlimme Folgen haben. Im Schmelztiegel des Krieges dagegen können die gleichen Schwächen und daraus resultierenden unbedeutenden Handlungen unglaublich entsetzliche, unvorstellbar schreckliche Folgen haben. Der Krieger muss die Augenblicke erkennen, wenn die Umstände die hässlichen, ungewollten Teile seiner Psyche widerspiegeln. Das ist die einzige Möglichkeit, etwas gegen die bösen Folgen zu unternehmen, die entstehen, wenn man diese Teile des Selbst ignoriert. Dazu ist es notwendig, die eigenen ungeliebten Züge zu erkennen und zu akzeptieren. Das erfordert eine Form des Heldenmuts, die im Bootcamp niemandem beigebracht wird.
Im Jahr 1968 , damals war ich noch in Vietnam, hielt ich in meinem Tagebuch einen wiederkehrenden Albtraum fest, den ich, zusammen mit ähnlichen Träumen, über zwanzig Jahre nicht mehr loswurde.
Irgendwie waren das Schlitzauge [29] und ich allein beim Fluss zurückgeblieben, und es sah aus, als sei der Kerl unbewaffnet. Er sah mich, und wir gingen aufeinander los. Mein Ka-Bar, ein großes Messer, das die Marines bei sich trugen, war ganz stumpf vom Zweigeabhacken, und so versuchte ich ihn nicht aufzuschlitzen, sondern ihm in die Kehle zu stechen. Ich traf ihn irgendwo, aber das hielt ihn nicht auf, und dann umklammerten wir einander und rollten ins trübe, lauwarme Wasser. Ich stellte fest, dass er nicht unbewaffnet war. In seiner rechten Hand hielt er zwei Rasierklingen. Er schnitt mir quer übers Handgelenk, und ich spürte im warmen Wasser das Blut aus mir herausfließen. Es vermischte sich mit der Wärme um mich herum, es nahm mir meine Kraft und meine Lebendigkeit. Ich stach ihn in den Adamsapfel und fühlte einen harten Widerstand, wie von einer Möhre. Doch das Messer war zu stumpf, um ihm die Kehle damit aufzuschneiden, und so zog ich es heraus und stach wieder und wieder zu, in einem verrückten Wettlauf mit meinem Blut, das sich mit dem warmen braunen Wasser vermischte und vermischte und vermischte. Am Ende konnte ich nichts mehr sehen. Gedanken wirbelten mir durch den Kopf, mein Körper bog sich und wirbelte dem Blut hinterher, gesellte sich ihm in einem entropischen Tanz zu, kühlte ab und ging in der universellen lauen Wärme des Flusses auf.
Der Doc zog mich aus dem Wasser, ich wachte am Ufer auf, und mein Arm hing an einem Tropf.
Das ist kein Traum über Vietnam. Er handelt von dem, was mich nach Vietnam gebracht hat. Ich habe das »Schlitzauge«, den Feind in mir, auf die eine oder andere Weise fast mein ganzes Leben lang bekämpft. Er repräsentiert die Teile meiner Persönlichkeit, die ich hasse, und ich will nicht nur, dass andere Leute sie nicht sehen, sondern sie selbst nicht wahrnehmen. Es sind meine schwachen, meine unentschiedenen, meine gewalttätigen Züge, und wahrscheinlich sind einige davon so tief in mir verborgen, dass ich sie nicht einmal benennen kann. Der Feind taucht jedoch immer wieder in unterschiedlichen Formen in meinen Träumen auf, manchmal als hilfloser Landstreicher, manchmal als Furcht einflößender Mörder oder als Wahnsinniger.
Manchmal fangen wirkliche Menschen, nicht einfach nur Träume, diesen inneren Feind auf und verhalten sich wie ein unerkanntes Spiegelbild meiner selbst. Statt zu begreifen, dass ich es mit meinem eigenen Spiegelbild zu tun habe, denke ich lieber, dass ich mein tatsächliches Gegenüber betrachte. Das führt zu beunruhigenden Reaktionen. Zum Beispiel sehe ich dicke Menschen und denke sofort schlecht über sie. Ich war als Kind selbst zu dick und habe mich in einer erbitterten Auseinandersetzung gegen den fetten kleinen Kerl durchgesetzt, ich habe hart trainiert, sehr viel Sport betrieben und bin viel gelaufen. Aber ich esse immer noch gerne Eis, und ich liege immer noch gerne herum, der dicke kleine Junge ist also noch da, allerdings habe ich ihn so tief in mir versteckt, dass ich nicht mehr an ihn denken muss. So kann ich auf dicke Menschen negativ reagieren, und erst wenn ich mich an den dicken kleinen Kerl erinnere, der ich selbst einmal war, normalisiert sich meine Reaktion etwas. Am Ende waren es ein paar schmerzhafte
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