Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
diese Schatten ständig mit sich tragen. Das ist wichtig für Leute in Berufen, die mit Gewalt umgehen und zu deren Aufgaben es gehört, Menschen zu verletzen oder gar zu töten. Diese Leute dürfen ihre Schattenseiten nicht auf »den Feind« oder »die Kriminellen« projizieren, sonst kommt es zu Exzessen. Trotzdem werden Soldaten oder Polizisten nicht entsprechend ausgebildet. Wir ziehen den leichteren Weg vor, unsere eigenen dunklen Seiten auf sie zu übertragen und über die »brutale Polizei« zu wettern, wann immer es zu Übergriffen kommt. Das muss sich ändern.
Es muss sich ändern, weil wir die Kontrolle verlieren, wenn wir unsere Schattenseiten auf andere projizieren, und es ist weit folgenreicher, in einem Krieg die Kontrolle zu verlieren, als zu Hause auf der Couch. Dann löschen wir unnötig und nicht mehr für das höhere Gut Menschenleben aus, für das wir in den Krieg gezogen sind.
Wie sollen wir uns ändern? Zunächst einmal sollten alle Militärs mit dem Konzept des Schatten-Ichs vertraut gemacht werden, mit Wut und Verdrängung, und das von Beginn der Ausbildung an. Darüber hinaus sollten die Mannschaftsdienstgrade in Kampfeinheiten, die direkt gegen den Feind operieren (Infanterie, Panzerbesatzungen, Spezialeinheiten) oder mit Gefangenen umgehen (Militärpolizisten, Küstenwachen, Vernehmungsoffiziere), weit mehr individuelle Zeit (hier überschneiden sich Therapie und Ausbildung) mit entsprechend ausgebildeten Unteroffizieren und Offizieren verbringen. Schon einige wenige Treffen können Leben retten, indem sie Exzessen vorbeugen. Fast schon definitionsgemäß kommt es zu Gräueltaten, weil die Verantwortlichen sie zulassen. Selbst nach den bestehenden Mustern ausgebildete Soldaten würden nur äußerst selten Gräueltaten vollbringen, wenn sich der jeweils Kommandierende seiner eigenen Schatten bewusst wäre und ihnen Einhalt geböte.
Ich habe herausgefunden, dass es drei grundlegende Kategorien gibt, in die sich so gut wie alle Gräueltaten einordnen lassen. Es gibt zum einen die, wie ich sie nennen möchte, »Weißglut«-Gräuel, bei denen allein die Logik regiert, ohne jede Emotion und ohne jedes Mitgefühl. Zum anderen gibt es die »Rotglut«-Gräuel, bei denen es sich genau umgekehrt verhält: Emotionen, gewöhnlich Wut, haben die Oberhand, Logik und Vernunft dagegen sind ausgeschlossen. Und schließlich gibt es noch Gräueltaten, die wegen »verlorener Standards« begangen werden, bei denen eine große Kluft zwischen dem existiert, was die Gesellschaft zu Hause als Verhaltensstandard versteht, und dem, was die unmittelbare Umgebung vor Ort erwartet. Ich habe alle drei Kategorien direkt miterlebt und bin so zu dieser Einteilung gekommen, was nicht heißt, dass ich ein Ungeheuer wäre und an My Lai oder etwas Ähnlichem teilgenommen hätte. Fast alle tun wir auf dem Schlachtfeld Dinge, die viel zu einfach entschuldigt werden. Wäre ich mir damals meiner Schattenseiten auch nur etwas bewusster gewesen, hätte ich einige Dinge, die ich getan habe, sicher nicht getan. Mehr Menschen hätten überlebt, ohne dass es am Ausgang des einzelnen Gefechts oder gar des Krieges etwas geändert hätte.
Das Böse treibt uns um wie ein Geist, ein unsichtbarer, giftiger Nebel, der aus vielen ziemlich gewöhnlichen Dingen aufsteigt, aus der Geschichte, der Kultur und den Verhaltensweisen und Praktiken der Kindererziehung. Es manifestiert sich im Spirituellen, als wirkliches, nicht empirisches Potenzial. Das Gute umfließt uns ebenfalls, vermischt sich in diesem potenziellen Stadium mit dem Bösen, und wir Menschen verhelfen dem einen wie dem anderen zum Durchbruch. Wie ein Fernsehgerät stellen wir uns auf die entsprechende Frequenz ein und lassen den unsichtbaren, nicht manifestierten, dahintreibenden Nebel zu ausgewachsener, stereofoner Wirklichkeit werden. Wir geben dem Bösen und dem Guten eine Gestalt. In Vietnam habe ich beides getan. Ich kenne niemanden, bei dem es anders wäre, im Krieg wie im zivilen Leben. Nur dass im Krieg das Ergebnis schrecklich vergrößert wird.
Ich habe an einem »Weißglut«-Gräuel teilgenommen, das so verbreitet war, dass es von den meisten Veteranen nicht einmal als Gräuel wahrgenommen wird, und doch war es eines. Wir befanden uns auf Mutter’s Ridge, einer langen, südlich der demilitarisierten Zone von Ost nach West verlaufenden Bergkette. Die 3 .Division der Marines, die 320 . und die 312 . nordvietnamesische »Steel and Iron«-Division kämpften den
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