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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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wieder aus der Landezone prügelte. Er entschied sich zu springen, um zurück zu seinem Trupp unten auf dem Boden zu kommen.
    Kaum dass auch der letzte Verwundete ausgeflogen war, zog sich der noch bewegungsfähige Rest der Kompanie auf meine Anhöhe zurück. Drei Tage lang lagen wir dort unter Granatfeuer, und es war unmöglich, unsere Verwundeten und Toten auszufliegen, weil sich nun alles völlig zugezogen hatte. Weiter nach unten bringen konnten wir sie ebenfalls nicht, denn der Feind war überall um uns herum. Wir hatten keinen Proviant mehr, bekamen keinen Schlaf und tranken am Ende die Flüssigkeit aus den Tropfflaschen. Glücklicherweise hob sich die Wolkendecke am vierten Tag weit genug an, sodass wir die Gipfel der Bergkette unter dem schweren grauen Himmel ausmachen konnten. Verstärkung, die drei Tage lang im Regen an einer Landezone unten in der Ebene auf diese kleine Aufhellung gewartet hatte, wurde mit all der Munition und dem Wasser, das sie mitnehmen konnten, zu uns geflogen. Wir bekamen den Befehl, den Hügel wieder einzunehmen, um »uns unseren Stolz zurückzuholen«. Der Hügel gehörte unserer Kompanie. Wir hatten ihn verloren, jetzt war es an uns, ihn erneut zu besetzen. Das Marine Corps ist schon komisch, was das betrifft.
    Bei unserem zweiten Angriff befanden wir uns in einer anderen Geistesverfassung als beim ersten.
    Man kann in vielen verschiedenen Verfassungen sein. Im Gegensatz zur landläufigen Vorstellung befindet man sich in der Hitze des Gefechts, wie ich denke, nur selten in einem irrationalen Taumel. Der Begriff »Hitze des Gefechts« wird mitunter dazu benutzt, einen Moment der Irrationalität heraufzubeschwören, einen Moment, in dem man von Gefühlen überwältigt wird. Natürlich kann das vorkommen, wie ich aus eigener Anschauung zu berichten weiß, ich selbst neigte jedoch eher zu irrationalen Ausbrüchen, wenn der Druck gewichen war und ich mich im Hinterland befand. Zum Beispiel geriet ich einmal, als ich darauf wartete, zurück in den Busch gebracht zu werden, durch ein bürokratisches Ärgernis so aus der Fassung, dass ich mein Ka-Bar zog und einen großen Busch angriff. Ich zerfetzte ihn und brüllte wütend auf ihn ein. Am Ende war ich auf den Knien und hackte wie im Rausch auf die gesplitterten Holzstücke ein, während sich etliche Zuschauer um mich versammelten.
So
etwas ist ein Moment der Irrationalität und des überwältigenden Zorns.
    Im Kampf selbst jedoch befand ich mich gewöhnlich in einem Zustand der »Weißglut«, totaler Rationalität ohne jegliche Erregung. Ich hatte eine einzige, alles umfassende Sorge: den Auftrag zu erfüllen, mit möglichst wenig Verlusten auf unserer Seite, und dabei selbst am Leben zu bleiben. Wenn ich einmal den Mut zusammengenommen und die letzte Grenze vor einem Angriff überschritten hatte, war es, als verwandelte ich mich in eine Maschine, die so schnell arbeitete, dass man Angst haben musste, sie könne in Flammen aufgehen.
    Um uns unseren Stolz zurückzuholen, rannten wir ein weiteres Mal gegen dieselben Bunker und Maschinengewehre an. Diesmal hatten wir jedoch den Vorteil, den Stacheldraht bereits zerstört zu haben und das Gelände zu kennen. Da wir all unsere Zugführer verloren hatten, bis auf einen, und der war verwundet, hatte ich die Überbleibsel zweier Züge und ein paar Neuzugänge zu einem neuen Zug zusammengefasst und ihn selbst übernommen. Wir tauchten aus dem Dschungel auf, mein vergrößerter Zug und der zweite Zug unter dem verbliebenen verwundeten Zugführer, der aus einem anderen Winkel um die gegenüberliegende Seite eines Ausläufers des Hügels bog, und stürmten auf die verfluchte, steil ansteigende offene Seite, die aus einem verschlammten Durcheinander weggesprengter Bäume und aufgeworfener Erde bestand.
    Der ehemalige Executive Officer unserer Kompanie, der auf einen sicheren Posten im Hinterland versetzt worden war und auf den Marschbefehl zurück nach Hause wartete, hatte von unserer Situation gehört, ohne um Erlaubnis zu fragen, seinen Job verlassen und war zu den neu eingetroffenen Verstärkungen gestoßen, die nervös bei der verregneten Landezone gewartet hatten. Drei Tage blieb er bei den verängstigten Marines, hielt den Regen mit ihnen aus, machte ihnen Mut und unterhielt sie. Als er uns abends auf der Anhöhe erreichte, stellte er eine Gruppe zusammen, und während wir uns im Dunkeln für den Angriff am nächsten Morgen sammelten, räumten sie die NVA -Infanterie von einem nahen Grat, die

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