Was Farben sagen
ätherischen Ebene von WeiÃ, kehrt der Welt den Rücken zu.
Die Spirale dreht sich weiter   Lavendel bedeutet aber nicht nur Abschied und Abkehr, sondern auch den Ãbergang zu einer neuen, höheren Ebene: In seiner aufgehellten Form setzt Violett nicht einfach nur zu einem neuen Zyklus an über Purpur zum Rot, sondern Hellviolett bewegt sich wie auf einer Spirale eine Stufe höher, eine Stufe näher zum WeiÃ. Lavendel ist auch in der Reihe der Violetttöne selbst der Abschluss einer Reise, die im tiefen, noch unbewussten Nachtviolett begonnen hat. Tiefem Violett wohnt allein der Impuls zur Veränderung inne, und es zeigt die beginnende Umwandlung an. Es mündet in reines Violett, das den Höhepunkt des Verwandlungsprozesses der Farbe markiert; etwas Neues ist entstanden. In Lavendel nun hat die Auflösung hin zu Weià begonnen, und je mehr sich das helle Violett dem Weià nähert, desto weiter schreitet die Zersetzung fort und desto fragiler, durchscheinender und ätherischer wird es.
Fragil und fein   Der sanfte, etwas müde Farbton vereint in sich die Zartheit von Rosa, ohne ins SüÃliche abzugleiten, und die romantische Anmut von Flieder, ergänzt um eine rauchige, leicht melancholische Komponente, die jedoch immer nur erahnt wird und das Sanfte der Farbe nie dominiert. Aufgelockert durch schwereloses Weià schwebt zartes Lavendel in einer Zwischenwelt zwischen roter Wirklichkeit und blauer Ãberhöhung und hält sich selten in Boden- und damit in Realitätsnähe auf. Feinsinniges Lavendel reagiert ohnehin empfindlich auf Grobheiten und alles Ungehobelte, das seinem zarten Charakter widerspricht. Es hängt lieber Tagträumen nach und baut fragile Gedankengebilde, statt sich mit der teils rohen Wirklichkeit auseinanderzusetzen.
Parallelen zum Jugendstil   Versucht man, das aufgehellte Violett einer Stilrichtung zuzuordnen, bietet sich die Arts-and-Crafts-Bewegung oder der davon beeinflusste Jugendstil an. Dessen Abkehr von historischen Stilen drückt den sanft transformatorischen Impuls von Blassviolett aus, das ebenfalls eine neue Ãra einläutet. Der Wunsch, die alten Formen aufzulösen, entspricht genauso wie die grundlegend elegante, feine Formensprache des Jugendstils dem ätherischen Charakter von Lavendel. Die teils schwülstigen Formen des Historismus wurden überführt in die weitläufigen, Rankpflanzen nachempfundenen Ornamente, die sowohl in ihrer Eleganz als auch in ihrer Natürlichkeit die Qualität von Lavendel ausdrücken. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade dieser Farbton im Jugendstil einer der beliebtesten war. 24
Nostalgie   Der nostalgische Charakter von Lavendel mag auf den ersten Blick überraschen, da es die aufgehellte Nuance von Violett ist, das mit dem Ãbergang zu etwas Neuem verbunden wird. Doch genau daraus entwickelt sich die rückwärtsgewandte Haltung der Lavendeltöne, die mit einem Fuà zwar bereits in einer neuen Welt angekommen sind, aber trotzdem noch wehmütig zurückblicken auf das, was sie hinter sich lassen.
Alexander Theroux bettet ein Gedicht von Robert Frost über eine wilde violette Orchidee, The Quest of the Purple-Fringed, in seine Interpretation der Violettnuancen als fragile, am Ãbergang stehende Farbtöne. Der Erzähler befindet sich darin auf einer Wanderungâ einer Pilgerreise gleichâ an einem kühlen Herbsttag, als er schlieÃlich unter einem alten Baum eine zartviolette Blüte findet, » blass wie ein Geist«. Auch aus blassem Lavendel scheint bereits fast alle Farbe geflossen zu sein, es ist nurmehr ein Hauch, der letzte Abglanz des ohnehin letzten Farbtons im Spektrum. Der Erzähler von Frosts Gedicht kniet nieder und betrachtet jedes einzelne Blütenblatt, bevor er sich still und ruhig auf den Heimweg macht. Diese übernatürliche Ruhe und der letzte Blick zurück, in dem Wissen, dass alles erledigt ist, zurückgelassen werden muss und der Weg weitergeht, gibt die Energie von Lavendel wieder.
Wo Rosa, als Mitglied der ersten, roten Farbfamilie, daher immer etwas Kindliches, Blutjunges anhaftet, ist ein Lavendel, das alle Stufen bereits durchlaufen hat, im Vergleich dazu uralt. Ein blasses Violett ist dennoch beständig auf der Suche nach Verfeinerung, um nur noch einen letzten Blick zurückwerfen zu müssenâ auch wenn dabei leicht melancholische Gefühle
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