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Was Farben sagen

Was Farben sagen

Titel: Was Farben sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabelle Wolf
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ätherischen Ebene von Weiß, kehrt der Welt den Rücken zu.
    Die Spirale dreht sich weiter    Lavendel bedeutet aber nicht nur Abschied und Abkehr, sondern auch den Übergang zu einer neuen, höheren Ebene: In seiner aufgehellten Form setzt Violett nicht einfach nur zu einem neuen Zyklus an über Purpur zum Rot, sondern Hellviolett bewegt sich wie auf einer Spirale eine Stufe höher, eine Stufe näher zum Weiß. Lavendel ist auch in der Reihe der Violetttöne selbst der Abschluss einer Reise, die im tiefen, noch unbewussten Nachtviolett begonnen hat. Tiefem Violett wohnt allein der Impuls zur Veränderung inne, und es zeigt die beginnende Umwandlung an. Es mündet in reines Violett, das den Höhepunkt des Verwandlungsprozesses der Farbe markiert; etwas Neues ist entstanden. In Lavendel nun hat die Auflösung hin zu Weiß begonnen, und je mehr sich das helle Violett dem Weiß nähert, desto weiter schreitet die Zersetzung fort und desto fragiler, durchscheinender und ätherischer wird es.
    Fragil und fein    Der sanfte, etwas müde Farbton vereint in sich die Zartheit von Rosa, ohne ins Süßliche abzugleiten, und die romantische Anmut von Flieder, ergänzt um eine rauchige, leicht melancholische Komponente, die jedoch immer nur erahnt wird und das Sanfte der Farbe nie dominiert. Aufgelockert durch schwereloses Weiß schwebt zartes Lavendel in einer Zwischenwelt zwischen roter Wirklichkeit und blauer Überhöhung und hält sich selten in Boden- und damit in Realitätsnähe auf. Feinsinniges Lavendel reagiert ohnehin empfindlich auf Grobheiten und alles Ungehobelte, das seinem zarten Charakter widerspricht. Es hängt lieber Tagträumen nach und baut fragile Gedankengebilde, statt sich mit der teils rohen Wirklichkeit auseinanderzusetzen.
    Parallelen zum Jugendstil    Versucht man, das aufgehellte Violett einer Stilrichtung zuzuordnen, bietet sich die Arts-and-Crafts-Bewegung oder der davon beeinflusste Jugendstil an. Dessen Abkehr von historischen Stilen drückt den sanft transformatorischen Impuls von Blassviolett aus, das ebenfalls eine neue Ära einläutet. Der Wunsch, die alten Formen aufzulösen, entspricht genauso wie die grundlegend elegante, feine Formensprache des Jugendstils dem ätherischen Charakter von Lavendel. Die teils schwülstigen Formen des Historismus wurden überführt in die weitläufigen, Rankpflanzen nachempfundenen Ornamente, die sowohl in ihrer Eleganz als auch in ihrer Natürlichkeit die Qualität von Lavendel ausdrücken. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade dieser Farbton im Jugendstil einer der beliebtesten war. 24
    Nostalgie     Der nostalgische Charakter von Lavendel mag auf den ersten Blick überraschen, da es die aufgehellte Nuance von Violett ist, das mit dem Übergang zu etwas Neuem verbunden wird. Doch genau daraus entwickelt sich die rückwärtsgewandte Haltung der Lavendeltöne, die mit einem Fuß zwar bereits in einer neuen Welt angekommen sind, aber trotzdem noch wehmütig zurückblicken auf das, was sie hinter sich lassen.
    Alexander Theroux bettet ein Gedicht von Robert Frost über eine wilde violette Orchidee, The Quest of the Purple-Fringed, in seine Interpretation der Violettnuancen als fragile, am Übergang stehende Farbtöne. Der Erzähler befindet sich darin auf einer Wanderung– einer Pilgerreise gleich– an einem kühlen Herbsttag, als er schließlich unter einem alten Baum eine zartviolette Blüte findet, » blass wie ein Geist«. Auch aus blassem Lavendel scheint bereits fast alle Farbe geflossen zu sein, es ist nurmehr ein Hauch, der letzte Abglanz des ohnehin letzten Farbtons im Spektrum. Der Erzähler von Frosts Gedicht kniet nieder und betrachtet jedes einzelne Blütenblatt, bevor er sich still und ruhig auf den Heimweg macht. Diese übernatürliche Ruhe und der letzte Blick zurück, in dem Wissen, dass alles erledigt ist, zurückgelassen werden muss und der Weg weitergeht, gibt die Energie von Lavendel wieder.
    Wo Rosa, als Mitglied der ersten, roten Farbfamilie, daher immer etwas Kindliches, Blutjunges anhaftet, ist ein Lavendel, das alle Stufen bereits durchlaufen hat, im Vergleich dazu uralt. Ein blasses Violett ist dennoch beständig auf der Suche nach Verfeinerung, um nur noch einen letzten Blick zurückwerfen zu müssen– auch wenn dabei leicht melancholische Gefühle

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