Was geschah mit Angelika H.
einen Blick auf das Gesicht des Pistoleros werfen zu können, doch der zog die Anonymität vor und drehte sich mit ihm, wie ein besonders unerfreulicher siamesischer Zwilling, durch die Waffe mit ihm aufs engste verbunden.
Markesch schwitzte.
Die Nachtluft war kalt, aber er schwitzte trotzdem.
Er dachte an die Magnum, die schwer in der Innentasche seiner Lederjacke lag und bei jedem Herzschlag einen kleinen Sprung zu machen schien. Doch er wagte noch nicht einmal den Schlüsselbund einzustecken, den er noch immer in der Hand hielt, wie irgendeine Witzfigur, die die Haustür eines Luftschlosses aufschließen wollte und nicht konnte, weil sie sich in der Hausnummer geirrt hatte.
Er sah die parkenden Autos an, die sich am Straßenrand drängten, und erst jetzt fiel ihm der schwere, schwarze BMW mit den getönten Scheiben auf, der ein paar Schritte weiter in der zweiten Reihe parkte.
»Los«, sagte der Pistolero und versetzte ihm einen aufmunternden Stoß.
Markesch ging los. Der Motor des BMW sprang an, Rücklichter und Scheinwerfer leuchteten auf und eine freundliche Hand öffnete die rechte Hintertür. Die Innenbeleuchtung blieb ausgeschaltet, die Insassen – drei Männer – waren nur schattenhaft zu erkennen.
Scheiße! dachte Markesch.
Seine Schritte wurden automatisch langsamer, doch da bekam er einen weiteren aufmunternden Stoß, der ihn bis vor die offene Wagentür trieb, und dann fiel er halb auf den Sitz, und jemand stülpte ihm eine Papptüte über den Kopf, während kundige Hände gleichzeitig seine Taschen durchwühlten und natürlich sofort die Magnum fanden.
Wie unerfreulich, dachte er.
»Kann nicht irgend jemand das Licht anmachen?« fragte er in die Dunkelheit unter der Papptüte.
»Still. Kein Wort.«
Er war still. Er kannte diesen Tonfall. Wer in diesem Tonfall sprach, duldete keinen Widerspruch, und wer war er denn, daß er mit einer Papptüte über dem Kopf vier schwerbewaffneten sizilianischen Mafiosi widersprechen konnte?
Danke, Ronnie, dachte er düster. Genauso habe ich mir das Rendezvous mit der Schutzgeldmafia vorgestellt. Die Einladung wird per Pistole überbracht, das Tragen einer Papptüte gehört zur Etikette. Hoffentlich gibt es wenigstens etwas zu trinken. Ein Grappa wäre nicht schlecht. Besser noch eine ganze Flasche.
Die Minuten tropften zäh dahin. Die Luft unter der Papptüte wurde allmählich schlecht, und er fragte sich ernsthaft, ob er unter diesen Bedingungen die Fahrt überhaupt überleben werde. Seine Kidnapper plauderten derweil auf italienisch miteinander und schienen alles in allem großartiger Laune zu sein, wenn er ihr Gelächter richtig interpretierte. Er konnte nur hoffen, daß es ein gutes Zeichen war.
Schließlich hielten sie an, der Motor erstarb, die Türen wurden geöffnet, und eine helfende Hand zog ihn aus dem Wagen und eine steile Treppe hinauf. Einer seiner Entführer sagte etwas; eine gedämpft klingende Stimme antwortete; dann wurden Riegel zurückgeschoben, eine Tür schwang quietschend auf und es ging über knarrende Holzdielen weiter.
Schließlich drückte man ihn auf einen Stuhl.
Flüstern. Schritte. Erwartungsvolle Stille, gefolgt von weiteren Schritten. Ein Stuhl wurde zurechtgerückt.
»Nehmt ihm die Tüte ab«, befahl eine sonore Stimme.
Der Befehl wurde ausgeführt. Grelles Licht blendete ihn. Er blinzelte in die starke Lampe, die direkt auf sein Gesicht gerichtet war. Hinter der Lampe erkannte er die Umrisse einer breitschultrigen Gestalt. Rechts und links vom Lichtkreis kahle Wände, von denen der Verputz abbröckelte. Ein staubiger Holzboden. Das war alles. Er spürte hinter sich die Gegenwart anderer Personen, aber er wagte nicht, sich umzudrehen. Seine Entführer legten großen Wert darauf, nicht erkannt zu werden, und das machte ihm Hoffnung.
Hätten sie vorgehabt, ihn umzubringen, hätte es keine Rolle gespielt, ob er ihre Gesichter sah oder nicht.
Der Mann hinter der Lampe räusperte sich.
»Wir haben gehört, daß Sie sich für uns interessieren. Daß Sie ein Gespräch mit uns suchen. Ein gemeinsamer Freund versicherte uns, daß man Ihnen vertrauen kann, aber Sie werden verstehen, daß wir daran unsere Zweifel haben.«
»Sicher«, knurrte Markesch. »Wem kann man heutzutage schon vertrauen? Höchstens sich selbst, und auch das nicht immer.«
Der Mann hinter der Lampe lachte leise. Aber sein Lachen verriet in etwa soviel Humor wie das Klappern einer Klapperschlange.
»Sie sind Realist. Das macht die Dinge einfach. Wir
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