Was geschah mit Angelika H.
seiner Halbschwester bei den Sanyiten nachgespürt hatte, dann wollte er sich in Zukunft nur noch von Gemüsesaft ernähren.
Und er war kein Mann, der leichtfertig ein solches Gelübde abgab.
6
In den nächsten Tagen blies der Sturm mit der Geschwindigkeit eines Porsches über die Domstadt hinweg, entwurzelte Bäume, deckte Dächer ab, wehte alte Damen vom Balkon und löste in der Öffentlichkeit eine lebhafte Diskussion über die Vor- und Nachteile der Bunkerarchitektur aus. Im Gegensatz dazu schleppten sich Markeschs Ermittlungen in Sachen Angelika Hilling und Kölner Schutzgeldmafia im Schneckentempo dahin, ohne neue Erkenntnisse oder auch nur die Andeutung einer Spur zu bringen. Nur die Renovierung des Café Regenbogens machte rasante Fortschritte – als der Sturm zum Wochenende wieder abflaute, waren die eingeschlagenen Fensterscheiben ersetzt, Stühle und Tische erneuert, Espressomaschine und Saftpresse repariert und die Spirituosenvorräte aufgefrischt.
Nur der leichte, aber hartnäckige Alkoholdunst, der dem Café bei der Neueröffnung den Charme einer Vorstadtdestille verlieh, und Archimedes’ sorgenvoll gesträubter Bart erinnerten noch an den Anschlag vom letzten Wochenende.
Markesch war froh, wieder seinen Arbeitsplatz vor dem Tresen beziehen zu können, doch selbstkritisch gestand er sich ein, daß dies so ziemlich das einzige Erfolgserlebnis war, das er verbuchen konnte.
Laurel und Hardy hatten sich seit ihrer nächtlichen Zerstörungsorgie nicht mehr gemeldet, und ihr Schweigen war bedrohlicher, als es jeder neue Erpressungsversuch sein konnte. Markeschs Hoffnung, über Ronnie den Zwerg an die beiden Ganoven heranzukommen, wurde mit jedem Tag geringer. Das Duo banane, von dem Ronnie gesprochen hatte, war nach einem kurzen Gastspiel wieder von der Liste der Verdächtigen gestrichen worden – es saß noch immer in der JVA Köln-Ossendorf und verbüßte eine einjährige Reststrafe für einen Überfall auf einen Kiosk, bei dem die beiden gerade eine Handvoll Wechselgeld erbeutet hatten. Außerdem galten sie in der kriminellen Szene als die größten Versager vor dem Herrn, die schon mit der Plünderung des eigenen Sparschweins überfordert waren, und kamen schon deshalb als Täter nicht in Frage.
Blieb also die sizilianische Schutzgeldmafia.
Aber entweder hatten die Herren Mafiosi kein Interesse an einem Gespräch mit Markesch, oder sie wollten es ihren Geldeintreibern überlassen, mit deren Auftauchen jeden Tag zu rechnen war.
Markesch nippte an seinem Kaffee, den er sich aus einer moralischen Schwäche heraus nach dem vierten Scotch bestellt hatte, und versuchte, die beiden Pärchen am Nebentisch zu ignorieren, Abonnenten aus dem nahen Sonnenstudio mit schwarzverbrannter Haut, die ihre Tequila Sunrise mit dem Strohhalm schlürften und vom bevorstehenden Skiurlaub in den Schweizer Alpen schwärmten, als wäre er die Erfüllung ihres Lebens.
Urlaub!
Markesch schüttelte sich. Er konnte sich nicht erinnern, je Urlaub gemacht zu haben, nicht einmal auf Balkonien, und er konnte nur hoffen, daß der laue Winter hielt, was er bisher versprochen hatte, und die Schweizer Alpen im Regen ertränkte.
Der Kaffee schmeckte ihm nicht und reumütig kehrte er zum Scotch zurück, aber nicht einmal dem Scotch gelang es, die Unzufriedenheit zu vertreiben, die ihm schon die letzten Tage vergällt hatte. Die Welt erschien ihm wie eine einzige große Tretmühle, in der er hinter Angelika Hilling herlief, ohne von der Stelle zu kommen.
Sie war so spurlos verschwunden, als hätte sie nie existiert.
Markesch hatte jeden Sanyiten befragt, den er finden konnte, aber seit dem Tag, an dem sie Bikshu Arupa ohne ein Abschiedswort verlassen hatte, war sie von niemand mehr gesehen worden. Der vage Hoffnungsschimmer, daß sie vielleicht nach Indien geflogen war, zum spirituellen Zentrum der Bewegung, war ebenfalls bald erloschen: In der Kundenkartei des sanyiteneigenen Reisebüros Karma Tours, das die Pilgerflüge zum Grab des Gurus organisierte, gab es weder eine Angelika Hilling noch eine Ma Purana. Natürlich war es möglich, daß man ihn belogen oder daß sich Angelika auf eigene Faust auf den Weg nach Indien gemacht hatte, doch er hoffte, daß sie sich noch immer in Deutschland befand.
Aber warum versteckte sie sich?
Sofern sie sich überhaupt versteckte.
Doktor Roth, ihr langjähriger Therapeut, war noch immer unerschütterlich davon überzeugt, daß kein Grund zur Sorge bestand, daß sie nur fortgegangen
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