Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
sie gehört hat, alles gespürt, was sie gespürt hat; und trotzdem war ich immer noch auf meiner Straße. Ich dachte, es wäre eine Halluzination, weißt du? Wie wenn man nachts unterwegs ist und sich vorstellt, dass man über den Seitenstreifen hinausschießt oder mit jemandem zusammenstößt. Aber es war echt«, sagte er und seine Stimme hatte einen gehetzten Klang.
»Das zweite Mal war wirklich übel. Er war auch in unserem Alter. Eines Nachts habe ich geträumt, dass ich ihm etwas zu essen mache und ihn dann füttere, aber die Hände waren nicht meine eigenen. Er hatte eine Art Infektion und schreckliche Schmerzen im Nacken. Er hat geweint.«
Noahs Gesicht war blass und verhärmt. Er nahm den Kopf in die Hände und rieb ihn, fuhr sich dann mit den Fingern durchs Haar, dass es in alle Richtungen abstand. Schließlich sah er zu mir auf. »Und dann im Dezember habe ich dich gehört.«
Das Blut wich mir aus dem Gesicht.
»Ichhabe deine Stimme an deinem ersten Tag in der Schule sofort wiedererkannt. Es war so unglaublich, dass mir ganz schwindlig wurde. Ich hatte geglaubt, verrückt zu werden, weil ich mir kranke und sterbende Menschen einbilde und sie spüren kann, weil ich ein Echo von dem empfange, was sie empfunden haben müssen. Und dann bist du aufgetaucht, mit der Stimme aus meinem Albtraum, und hast mich einen Arsch genannt«, sagte Noah mit einem schwachen Lächeln.
»Ich habe Daniel nach dir gefragt und er hat mir in groben Zügen erzählt, was vor eurem Umzug passiert ist. Ich nahm an, dass es das gewesen sein musste, was ich gesehen, oder geträumt, hatte. Und ich dachte, wenn ich – keine Ahnung. Ich dachte, wenn ich dich kennenlerne, dann begreife ich vielleicht, was mit mir los ist. Aber das war natürlich vor der Sache mit Joseph.«
Es war, als hätte ich Sand im Mund. »Mit Joseph?« Das konnte nicht wahr sein.
»Vor zwei Wochen, im Restaurant, hatte ich eine … eine Vision, nehme ich an«, gestand er verlegen. »Von einem Dokument, einer Urkunde aus den Archiven des Collier County.« Noah schüttelte langsam den Kopf. »Jemand – ein Mann mit einer Rolex – holte Akten heraus, fotokopierte sie und bei diesem Dokument hielt er inne. Ich konnte es sehen, als wäre ich derjenige, der es durchliest«, sagte er und atmete tief durch. »Es stand eine Adresse darauf, ein Ort. Ich bekam irrsinnige Kopfschmerzen, als die Vision einsetzte, was typisch ist. Sämtliche Geräusche werden mir einfach unerträglich. Also bin ich rausgegangen, bis es vorbei war.« Noah fuhr sich durchs Haar. »Als ich zwei Tage
spätervon der Schule nach Hause kam, bin ich ohnmächtig geworden. Ich war stundenlang einfach weggetreten. Als ich wieder zu mir kam, war ich richtig ›high‹. Ich sah Joseph auf dem Zementboden, kurz bevor jemand eine Tür zumachte. Wer immer es war, hatte die gleiche Uhr.«
Ich saß ganz still und meine untergeschlagenen Füße wurden langsam taub, während Noah fortfuhr.
»Ich wusste nicht, ob es real war oder ob ich das alles nur geträumt hatte, aber nach dem, was dir widerfahren war, vermutete ich, dass es vielleicht wirklich passierte, und zwar genau in diesem Moment. Wenn ich an die anderen zurückdachte, hatte es immer irgendwelche Hinweise gegeben, wo sie sich befanden, in welchem Krankenhaus oder auf welcher Straße. Ich hatte nur nie begriffen, dass es real war.« Noah schlug die Augen nieder. Dann schloss er sie. Er klang unendlich müde. »Also habe ich dich mitgenommen, als es um Joseph ging, nur für den Fall, dass ich wieder ohnmächtig werde oder so.« Seine Kiefermuskeln arbeiteten. »Als sich dann herausstellte, dass er tatsächlich dort war, wie sollte ich dir das erklären? Ich dachte, ich wäre verrückt.« Er machte eine Pause. »Ich dachte, ich hätte ihn entführt.«
Ich hörte ein Echo von Noahs Stimme in jener Nacht.
»Tue alles, was nötig ist, um Joseph aufzuwecken.«
Das hatte er gesagt, noch bevor wir ihn überhaupt gesehen hatten.
»Heilige Scheiße«, flüsterte ich.
»Ich wollte dir schon vor seiner Entführung die Wahrheit sagen – über mich und über das hier. Aber als es dann passiert ist, wusste ich nicht, wie ich es anstellen sollte. Ich habe ehrlich geglaubt, dass ich dafür verantwortlich bin. Dass ich den Leuten, die ich gesehen hatte, das antue und die Erinnerung unterdrücke … oder etwas in der Art. Aber wessen Scheinwerfer waren das dann draußen in den Everglades? Und warum sind sie in die Einfahrt bei der Hütte abgebogen?«
Ich
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