Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
gewesen sein mussten, nachdem sie erstickt war. Nachdem ich sie getötet hatte.
Noah zog die Brauen hoch. »Woher weißt du das?«
»Ich habe es gesehen.« Ich schaute ihn nicht an. Ich konnte es nicht. Ich stieg von ihm herunter und er richtete sich auf und fuhr mit der Hand über den Dimmer, damit es im Zimmer heller wurde. Seine Augen waren dunkel, aber wieder klar. Er starrte mich an.
»Ich bin eingeschlafen, Mara. Und du hast neben mir geschlafen. Du hast mich ins Bett gezogen und ich lag hinter dir und … Gott, war das ein geiler Traum.« Er lehnte sich ans Kopfbrett und schloss die Augen.
Mir schwirrte der Kopf. »Wir haben uns geküsst. Weißt du das nicht mehr?«
Noah grinste. »Klingt, als hättest du genauso gut geträumt.«
Was redete er da? Das ergab keinen Sinn. »Du hast zu mir gesagt, ich würde nach … gebratenem Speck duften.«
»Hm«, sagte er gelassen. »Ziemlich plump.«
Ich sah auf meine Hände, die schlaff in meinem Schoß lagen. »Du hast gefragt, ob du mich küssen darfst, und dann hast du es getan. Und dann habe ich …« Es gab keine Worte, mit denen sich das vermitteln ließ: die toten Gesichter, die ich hinter meinen Lidern gesehen hatte. Ich wollte sie wegreiben, doch sie ließen sich nicht vertreiben. Sie waren real. Alles war real. Was immer der Santeria-Priester getan hatte, es hatte funktioniert. Und jetzt, wo ich Bescheid wusste, wo ich mich erinnerte, wollte ich nur noch vergessen.
»Ich habe dir wehgetan«, kam ich zum Schluss. Und das war erst der Anfang.
Noah rieb sich das Kinn. »Schon gut«, sagte er und zog mich wieder zu sich herab. Er schmiegte sich an mich, bis mein Kopf an seiner Schulter und meine Wange an seiner Brust lagen. Sein Herz klopfte unter meiner Haut.
»Hast du dich an irgendwas erinnert?«, flüsterte er mir ins Haar. »Hat die Sache funktioniert?«
Ich gab keine Antwort.
»Schon gut«, sagte Noah behutsam und ließ die Finger über meine Rippen gleiten. »Du hast bloß geträumt.«
Aber der Kuss war kein Traum gewesen. Noah hatte wirklich im Sterben gelegen. Die Anstalt war kein Unfall gewesen. Ich hatte sie umgebracht.
Alles war real. Und ich war an allem schuld.
Ich verstand nicht, warum Noah sich nicht daran erinnern konnte, was sich vor wenigen Minuten abgespielt hatte, aber ich verstand endlich, was mir vor Monaten zugestoßen war. Jude hatte mich in die Falle gelockt, mich gegen die Wand gedrückt. Und ich wollte ihn bestrafen, damit er meine Angst vor dem Eingesperrtsein und dem Erdrücktwerden am eigenen Leib spürte. Also sorgte ich dafür, dass es so kam.
Und ließ Claire und Rachel im Stich.
Rachel, die in der fünften Klasse stundenlang mit mir in dem riesigen Reifen auf dem Spielplatz unserer alten Schule gesessen hatte, die Beine voller Sand und Dreck, während ich ihr eine unglückliche Schwärmerei anvertraute. Rachel, die mir Porträt gesessen hatte, mit der ich gelacht und geweint und einfach alles unternommen hatte, deren Körper nun in einen Klumpen Fleisch verwandelt war. Meinetwegen.
Nicht, weil ich mich auf den Tamerlane-Plan eingelassen hatte, obwohl ich wusste, dass es gefährlich werden konnte. Oder weil ich es versäumt hatte, auf eine winzige Vorahnung zu hören. Es war meine Schuld, weil ich die Anstalt mit Rachel und Claire darin förmlich zerdrückt hatte, als wäre sie nicht mehr als eine Handvoll Papiertücher in meiner Hosentasche.
Mir wurde schwindlig, wenn ich daran dachte, wie ich Mabels Besitzer und Ms Morales umgebracht hatte. Ich war nicht verrückt.
Ich war eine tödliche Gefahr.
Noahs Hand wühlte in meinen Haaren und es fühlte sich so schön an, so quälend schön, dass ich mich extrem zusammenreißen musste, um nicht zu weinen.
»Ich muss gehen«, gelang es mir zu flüstern, obwohl ich nirgendwo hinwollte. Nirgendwo sein wollte.
»Mara?« Noah richtete sich auf den Ellenbogen auf. Seine Finger zeichneten den Verlauf meines Wangenknochens nach und erweckten meine Haut. Mein Herz schlug nicht schneller. Es schlug überhaupt nicht. Es war nichts mehr von ihm übrig.
Noah sah mich einen Moment lang prüfend an. »Ich kann dich nach Hause fahren, aber deine Eltern würden sich wundern«, sagte er langsam.
Ichgab keine Antwort. Es ging nicht. Es war, als hätte ich Glassplitter in der Kehle.
»Warum bleibst du nicht?«, fragte er. »Ich kann in einem anderen Zimmer schlafen. Du musst es nur sagen.«
Ich sagte gar nichts.
Noah setzte sich neben mich und das Bett bewegte sich unter seinem
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