Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
schüttelte den Kopf. Ich wusste es nicht. Es ergab keinen Sinn. Ich hatte mich für verrückt gehalten, aber jetzt begriff ich, dass ich es gar nicht war. Ich hatte gedacht, Josephs Entführung sei nicht real gewesen, aber das war sie.
»Ich habe es nicht getan«, sagte Noah und seine Stimme klang klar. Und stark. Doch sein intensiver Blick war immer noch auf die Wand gerichtet. Nicht auf mich.
Ich glaubte ihm. Trotzdem fragte ich: »Und wer war es dann?«
Zum ersten Mal, seit er angefangen hatte zu erzählen, drehte sich Noah zu mir um.
»Das werden wir herausfinden«, sagte er.
Ich versuchte, diese Informationen zu etwas zusammenzusetzen, das irgendwie logisch war. »Dann hat Joseph dir also nie eine SMS geschickt«, sagte ich mit klopfendem Herzen.
Noah schüttelte den Kopf, ließ aber sekundenlang ein winziges Lächeln erkennen.
»Was?«, fragte ich.
»Ich kann es hören«, sagte er. Verständnislos starrte ich ihn an.
»Dich«, sagte er leise. »Dein Herz, deinen Puls und deinen Atem. Alles.«
Mein Puls rebellierte und Noahs Lächeln wurde breiter.
»Duhast einen eigenen Klang. Genau wie alle anderen; Tiere wie Menschen. Und ich kann sie alle hören. Wenn etwas oder jemand Schmerzen hat oder völlig erschöpft ist oder so – dann merke ich das. Und ich denke – ach, Scheiße.« Noah senkte den Kopf und fuhr sich durch die Haare. »Das klingt jetzt verrückt. Aber ich glaube, ich kann sie heilen«, sagte er, ohne aufzusehen. Dann tat er es doch und heftete den Blick auf meinen Arm. Und auf meine Schulter.
Unmöglich.
»Als du mich gefragt hast, warum ich rauche, habe ich dir erzählt, dass ich noch nie krank war. Was stimmt. Und wenn ich mich prügle, tut es zwar eine Weile weh, aber dann – nicht mehr. Kein Schmerz. Es ist vorbei.«
Ungläubig sah ich ihn an. »Willst du damit sagen, dass du …«
»Wie geht es deiner Schulter, Mara?« Ich war sprachlos.
»Normalerweise hättest du jetzt ziemlich üble Schmerzen, auch wenn sie wieder eingerenkt ist. Und dein Arm?«, fragte Noah, nahm meine Hand und streckte sie aus. Er strich mit dem Finger von meiner Ellenbeuge bis hinab zum Handgelenk. »Du hättest immer noch Brandblasen und wahrscheinlich würden sich gerade Narben bilden«, sagte er und ließ die Augen über meine unversehrte Haut gleiten. Dann begegneten sich unsere Blicke.
»Wer hat dir von meinem Arm erzählt?«, fragte ich. Meine Stimme klang, als käme sie aus weiter Ferne.
»Niemand hat mir davon erzählt. Das war auch nicht nötig, ich spüre so etwas. Als du Mabel zu mir gebracht hast, war sie so gut wie tot. Es stand so schlimm um sie, dass meine Mutter glaubte, sie würde die Nacht nicht überleben. Ich bin in der Tierklinik bei ihr geblieben und ich habe sie gehalten und gehört, wie sie heilte.«
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte ich und starrte ihn an.
»Ich weiß.«
»Du behauptest also, dass du aus irgendeinem Grund eine Handvoll Leute gesehen hast, die kurz davor waren zu sterben. Du hast ein Echo dessen gespürt, was sie gespürt haben. Und wenn mein Herz schneller schlägt – oder das von jemand anderem –, kannst du es hören.«
»Ja.«
»Du kannst hören, was bei Leuten defekt ist oder nicht stimmt, und es in Ordnung bringen.«
»Ja.«
»Während ich nichts anders zustande bringe, als …«
Zu töten. Ich konnte den Gedanken kaum zu Ende denken.
»Du hattest doch auch Visionen, nicht? Und hast Dinge gesehen?« Noah sah mich forschend an.
Ich schüttelte den Kopf. »Das waren Halluzinationen. Sie waren nicht real, alles nur Albträume und Erinnerungen.«
Noah zögerte einen Moment. »Woher weißt du das?«
Ich dachte an all die Halluzinationen, die ich gehabt hatte: die Wände des Klassenzimmers, Jude und Claire im Spiegel, die Ohrringe in der Badewanne. Nichts davon war wirklich geschehen. Und die Ereignisse, von denen ich dachte, dass sie nicht geschehen seien – die ich mir erklärt hatte, wie der Tod von Morales und des Besitzers von Mabel –, waren tatsächlich geschehen.
Ichhatte posttraumatische Belastungsstörungen. Das war real. Aber das, was passiert war, was ich getan hatte und tun konnte, war ebenfalls real.
»Ich weiß es einfach«, sagte ich und beließ es dabei.
Wir starrten uns an, ohne ein Lachen oder auch nur ein Lächeln. Wir sahen uns einfach nur an; Noah ernst und ich selbst fassungslos, bis mir ein Gedanke kam, der so gewaltig und so drängend war, dass ich ihn herausschreien wollte.
»Heile mich«, befahl ich ihm. »Ich habe
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