Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
rehbraune Schwanz des Hundes verschmolz fast mit der Farbe des Staubs unter dem gefährlich wacklig aufgetürmten Holz. Der Hund war völlig abgemagert. Unter dem fleckigen Fell zeichnete sich jeder einzelne Knochen ab. Er hatte sich zu einem winzigen Ball zusammengerollt und zitterte am ganzen Leib, trotz der drückenden Hitze. Seine schwarze Schnauze wies diverse Narben auf, die Ohren waren eingerissen und hinter dem Kopf fast nicht zu sehen.
Er war in ganz übler Verfassung.
Ich suchte nach einem Zugang auf den Hof, konnte aber keinen entdecken. Ich hockte mich hin und lockte den Hund mit den freundlichsten und höchsten Tönen, die ich zustande brachte. Er kroch unter dem Stapel hervor, kam mit stockenden, zögernden Schritten zu mir herüber und sah mit feuchten braunen Augen durch den Metallzaun.
Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie etwas so Jämmerliches gesehen. Ich konnte das Tier nicht dort lassen, nicht in diesem Zustand. Ich würde die Schule schwänzen und es herausholen müssen.
In diesem Moment bemerkte ich das Halsband.
Es war mit einem Vorhängeschloss an einer Kette befestigt, die so schwer war, dass sich der Hund nur wie durch ein Wunder überhaupt auf den Beinen halten konnte. Dabei war es vollkommen überflüssig, die Kette an einem Pfahl zu befestigen, dieser Hund würde mit Sicherheit nirgendwo hingehen.
Ich streichelte ihm durch den Zaun die Schnauze und versuchte einzuschätzen, ob ich das Halsband über den großen, knochigen Kopf ziehen konnte. Ich lockte ihn näher heran, um zu ertasten, wie eng es saß, doch gerade, als ich es unten richtig zu fassen bekam, wurde die Stille von einer gedehnten, näselnden Stimme unterbrochen, die aus nächster Nähe kam.
»Was hast du mit meinem Hund zu schaffen, verdammt noch mal?«
Ich hob den Kopf. Der Mann stand auf meiner Seite des Zauns, und zwar nah. Zu nah. Es war kein gutes Zeichen, dass ich ihn nicht hatte kommen hören. Er trug ein fleckiges Unterhemd und zerrissene Jeans, hatte den oberen Teil des Schädels kahl rasiert und lange, fettige Haare am Hinterkopf.
Wassagt man zu jemandem, dem man gerade den Hund klauen will?
»Hi.«
»Was du mit meinem Hund zu schaffen hast, hab ich gefragt.« Seine zusammengekniffenen Augen waren blutunterlaufen und wässrig.
Ich unterdrückte den Drang, ihn mit einem Ast zu erschlagen, und versuchte, auf Zeit zu spielen. Ich war ein Teenager und hatte keine Ahnung, ob dieser Arsch ein Messer oder eine Pistole in der Tasche hatte, was meinen Handlungsspielraum deutlich einschränkte.
Also sagte ich mit der unschuldigsten Kleinmädchenstimme, die ich zustande brachte: »Ich war gerade auf dem Weg zur Schule, als ich Ihren Hund gesehen habe. Er ist so süß, was ist das für einer?« Das würde hoffentlich ausreichen, um ihn davon abzuhalten, mich noch vor dem Frühstück auszurauben. Ich hielt die Luft an.
»Das ist ein Pitbull. Noch nie einen gesehen?« Er spuckte irgendeine widerliche Substanz in den Dreck.
Keinen, der so abgemagert ist. Ich hatte noch nie einen Hund oder überhaupt ein Tier gesehen, das so dünn war.
»Nein. Aber es ist ein toller Hund. Frisst der viel?« Eine wirklich verboten dumme Frage. Mein fehlender Filter würde mich noch irgendwann das Leben kosten. Möglicherweise schon heute.
»Was geht dich das an?« Also gut. Alles oder nichts.
»Der Hund ist am Verhungern. Und die Kette, an der er hängt, ist viel zu schwer. Er hat zerbissene Ohren und Narben im Gesicht. Können Sie sich nicht besser um ihn kümmern?«, sagte ich und meine Stimme wurde dabei immer schriller. »Das hat er nicht verdient.« Ich verlor die Nerven.
Der Mann spannte den Kiefer an, genau wie alle anderen Muskeln seines Körpers. Dann kam er direkt auf mich zu. Ich hielt die Luft an, rührte mich aber nicht.
»Für wen hältst du dich?«, zischte er ganz dicht vor mir.
»Verschwinde gefälligst! Und wenn ich dich hier noch mal erwische, bin ich nicht mehr so freundlich wie heute.«
Als ich unbewusst einatmete, waberte ein ekelhafter Gestank in meine Richtung. Ich sah zu dem Hund hinab, der von seinem Besitzer fortkroch. Ich wollte ihn nicht dort lassen, sah aber keine Möglichkeit, die Hindernisse zu überwinden: den Stacheldraht, das Schloss am Halsband und die schwere Kette. Den Besitzer. Also wandte ich abrupt die Augen ab und trat den Rückzug an.
Dann hörte ich ein Jaulen.
Als ich herumfuhr, duckte sich das Tier so tief, dass sein Bauch den Boden berührte. Der Besitzer hielt die Kette in
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