Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
Klassenkamerad hat mich gesehen und zu seiner Mutter gebracht, die Tierärztin ist. Sie hat die Hündin umsonst behandelt.«
»Wie praktisch«, sagte meine Mutter.
Da war sie, diese gewisse Schärfe in ihrer Stimme. Ich steckte in Schwierigkeiten, und zwar gewaltig. Also verkniff ich mir eine Erwiderung.
»Wir sehen uns, wenn du nach Hause kommst«, sagte meine Mutter barsch. Auch wenn ich mich nicht darauf freute, drückte ich, sobald es ging, auf die Tube. Sollte die Polizei mich doch anhalten. Ich fuhr hundertvierzig, wo immer ich konnte, wechselte bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Spur und achtete nicht auf das verärgerte Hupen. Miami steckte mich langsam an.
Es dauerte nicht lange, bis ich in unsere Einfahrt bog. Wie eine Kriminelle schlich ich mich ins Haus, in der Hoffnung, ungesehen in mein Zimmer zu gelangen, doch meine Mutter hockte im Wohnzimmer auf der Sofalehne. Sie hatte auf mich gewartet. Von keinem meiner Brüder war irgendetwas zu hören und zu sehen. Die blöden Kerle!
»Lass uns reden.« Ihr Gesichtsausdruck war unnatürlich ruhig. Ich wappnete mich gegen den Angriff.
»Du hast ans Telefon zu gehen, wenn ich anrufe. Und zwar immer.«
»Ich wusste nicht, dass du das vorhin warst. Ich habe die Nummer nicht erkannt.«
»Das ist meine Büronummer, Mara. Gleich nach unserem Umzug habe ich dir gesagt, dass du sie in deinem Handy speichern sollst. Und ich habe dir eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen.«
»Ich hatte keine Zeit, sie abzuhören. Tut mir leid.«
Meine Mutter beugte sich vor und sah mir prüfend ins Gesicht. »Gibt es den Hund wirklich?« Trotzig starrte ich zurück. »Ja.«
»Wenn ich also morgen früh beim Tierarzt anrufe, dann werden sie mir das bestätigen?«
»Vertraust du mir nicht?«
Meine Mutter antwortete nicht. Sie saß einfach da, machte ein skeptisches Gesicht und wartete darauf, dass ich etwas von mir gab.
Ich knirschte mit den Zähnen, als ich sagte: »Die Tier- ärztin heißt Dr. Shaw und ihre Praxis liegt in der Nähe der Schule. Wie die Straße heißt, weiß ich nicht.«
Ihr Ausdruck blieb unverändert.
Mir ging das alles hier auf die Nerven. »Ich gehe auf mein Zimmer«, sagte ich. Sie erwiderte nichts, als ich mich umdrehte und die Tür ein wenig zu heftig zuzog. Gefangen in meinem Zimmer konnte ich mich nicht länger davor drücken, über die heutigen Ereignisse nachzudenken. Über Noah. Mabel. Ihren Besitzer. Und dessen Tod.
Etwas veränderte sich. Ich hatte Schweißperlen auf der Haut, auch wenn ich wusste, dass es unmöglich war. Es konnte nicht sein. Als dieser Bastard heute Morgen um neun gestorben war, hatte ich im Unterricht gesessen. Er musste früher ums Leben gekommen sein. Der Gerichtsmediziner, oder was er auch sein mochte, hatte sich geirrt. Außerdem hatte er selbst gesagt, dass er nur Vermutungen anstellen könne.
Daswar des Rätsels Lösung. Ich hatte mir die Unterhaltung mit dem Hundebesitzer nur eingebildet. Ich hatte mich darüber gewundert, dass er sich viel zu leise an mich herangeschlichen hatte, dabei hatte er das gar nicht getan. Weil er bereits tot war. Es war alles nur eine weitere Halluzination gewesen – eigentlich kein Wunder angesichts meiner Posttraumatischen Belastungsstörung.
Trotzdem. Irgendwie fühlte es sich heute … anders an. Was bestätigte, dass ich inzwischen verrückter war, als ich es je für möglich gehalten hätte. Meine Mutter arbeitete nur mit leicht Gestörten. Aber ich war volles Rohr wahnhaft. Abnormal. Psychotisch.
Als ich mich an diesem Abend zum Essen zu meiner Familie gesellte, fühlte ich mich auf seltsame und beunruhigende Weise gelassen, so als beobachtete ich die ganze Sache aus weiter Ferne. Ich schaffte es sogar, mich meiner Mutter gegenüber höflich zu verhalten. In gewisser Hinsicht war die Überzeugung, wahnsinnig zu sein, merkwürdig tröstlich. Der Mann war gestorben, bevor ich ihm an diesem Morgen begegnet war. Halt, stopp – ich war ihm nie begegnet. Ich hatte mir das Gespräch mit ihm nur eingebildet, um in einer Situation, in der ich mich machtlos fühlte, Macht zu empfinden. Das waren die Worte meiner Mutter, aber sie hörten sich einigermaßen zutreffend an. Ich fühle mich machtlos, weil ich Rachel nicht zurückholen konnte, hatte sie nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus gesagt. Unmittelbar bevor sie mir nahelegte – oder mich drängte –, eine Beratung beziehungsweise Medikamente in Anspruch zu nehmen. Und natürlich fühlte ich mich jetzt machtlos, weil
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