Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
vier Uhr morgens mit Riesenhunger und ging in die Küche, um mir zwei Scheiben Brot zu toasten. Ich holte die Milch aus dem Kühlschrank und goss mir ein Glas ein, während das Brot im Toaster steckte. Als er die Scheiben ausspuckte, begann ich langsam zu essen und ließ mir dabei den vergangenen Abend noch einmal durch den Kopf gehen. Joseph bemerkte ich erst, als er mir mit der Hand vor dem Gesicht herumwedelte.
»Erde an Mara!«
Ein weißer Tropfen löste sich von der dreieckigen Öffnung des Milchkartons. Josephs Worte drangen gedämpft in meinen Kopf. Am liebsten hätte ich den Ton abgestellt.
»Wach auf.«
Ich erschrak und schlug seine Hand fort. »Verschwinde.« Ich hörte eine weitere Person in der Küche herumkramen und wandte den Kopf. Daniel holte sich einen Granolariegel aus der Speisekammer und biss hinein.
»Wer hat dir denn in die Cornflakes gepinkelt?«, fragte er mit vollem Mund.
Ich beugte mich über den Tisch und nahm meinen hämmernden Kopf in die Hände. Es waren die schlimmsten Kopfschmerzen, die ich seit Wochen gehabt hatte.
»HoltNoah dich ab? Den Ausschluss vom Unterricht müsste er heute hinter sich haben, oder?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich schon.«
Daniel sah auf die Uhr. »Auf jeden Fall ist er spät dran. Was bedeutet, dass du mit mir fährst. Und das bedeutet, dass du dich anziehen musst. Und zwar sofort.«
Ich machte den Mund auf, um ihm zu sagen, dass wir noch jede Menge Zeit hatten, bis die Schule anfing, und um ihn zu fragen, warum er so früh auf den Beinen war, als mein Blick auf die Uhr der Mikrowelle fiel. Sieben Uhr dreißig. Ich hatte stundenlang am Küchentisch gesessen und … vor mich hin gekaut. Ich schluckte das Brot hinunter, zusammen mit der Panik darüber, die Zeit dermaßen aus den Augen verloren zu haben.
Daniel betrachtete mich aus den Augenwinkeln. »Beeil dich«, sagte er milde. »Ich darf nicht zu spät kommen.«
Als wir zur Schule kamen, konnte ich Noahs Wagen nirgends entdecken. Vielleicht hatte er beschlossen, sich noch einen Tag freizunehmen. Nur halb anwesend zockelte ich zum Campus. Ich sah Noah weder im Englischunterricht noch beim Wechseln der Räume in den Gängen. Eigentlich hätte er da sein müssen. Ich wollte herausfinden, wo Jamie wohnte, denn auch wenn sich die beiden nicht ausstehen konnten, war er der Einzige, der mir vielleicht weiterhelfen konnte.
Zwischen zwei Unterrichtsstunden ging ich zum Sekretariat, um einen Termin bei Dr. Kahn zu vereinbaren, und als die Schicksalsstunde anbrach, betrat ich sein Büro mit guten Vorsätzen. Ich würde um die Note verhandeln, die ich verdient hatte. Ich würde ihm von der Videoaufnahme erzählen. Ich würde die Ruhe bewahren und nicht anfangen zu weinen.
Das Büro des Direktors wirkte eher wie das Arbeitszimmer eines vornehmen Gentlemans aus dem neunzehnten Jahrhundert, angefangen bei der dunklen Holzvertäfelung der Wände bis hin zu den Stapeln aus ledergebundenen Büchern und der Büste der Athene über der Eingangstür. Das war ein Scherz. Das mit den Büchern.
Dr. Kahn saß hinter seinem Mahagonischreibtisch und der grüne Schimmer seiner Bankerleuchte erhellte sein ungewöhnlich glattes Gesicht. Mit seinen Kakihosen, dem weißen Polohemd und dem Croyden-Abzeichen auf der Brust hatte er überhaupt nichts Doktorartiges an sich. »Ms Dyer«, sagte er und zeigte auf einen der Sessel auf der anderen Seite des Schreibtischs. »Was kann ich für Sie tun?«
Ich sah ihm in die Augen. »Ich finde, meine Spanischnote sollte geändert werden«, sagte ich und klang ganz ruhig dabei. Und überzeugend.
»Verstehe.«
»Ich kann beweisen, dass ich in der mündlichen Prüfung ein A verdient hätte«, sagte ich und das stimmte ja auch. Es gab eine Aufnahme davon. Ich hatte sie nur nicht.
»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Dr. Kahn und lehnte sich in seinem gepolsterten Ledersessel zurück.
Ich blinzelte. »Ach«, sagte ich ziemlich verblüfft. »Super. Und wann wird die Note geändert?«
»Ich fürchte, da kann ich nichts für Sie tun, Mara.«
Ich blinzelte abermals, doch als ich die Augen wieder aufschlug, war alles dunkel.
»Mara?«Dr. Kahns Stimme klang, als käme sie von weither. Ich blinzelte wieder. Dr. Kahn hatte tatsächlich die Füße auf den Tisch gelegt. Er wirkte so lässig. Am liebsten hätte ich sie runtergefegt und ihm den Stuhl unter dem Hintern weggezogen.
»Warum nicht?«, fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich musste Ruhe bewahren. Wenn ich losschrie, war mir
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