Was ich dir noch sagen muss
„Das wäre doch nicht nötig gewesen.“
„Doch, ich tue es gern. Und es tut mir leid, dass ich gestern nicht daran gedacht habe.“
Es wäre Cassandra lieber gewesen, wenn Laura es ganz vergessen hätte. Lieber kein Geschenk als eines, das ihr allein der guten Manieren halber überreicht wurde.
Vorsichtig packte sie das Päckchen aus. Es war ein lavendelfarbener Schal aus feinster Seide. „Er ist wunderschön, vielen Dank.“ Und Cassandra meinte es wirklich so.
Einen Moment lang schien Laura ehrlich erfreut zu sein, dann setzte sie wieder ihre undurchdringliche Miene auf.
Früher einmal hatte ihre Schwiegermutter sie gern gemocht, und ab und zu glaubte Cassandra, dieses Gefühl in den Augen der älteren Dame ganz kurz wiederzuerkennen. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie daran dachte, wie viel sie wegen Liam verloren hatte. Zwischen ihr und seiner Familie würde es nie wieder so sein wie früher, das musste Cassandra einfach akzeptieren. Ihr war einzig und allein wichtig, dass diese negativen Gefühle keinen Einfluss auf Nicole hatten.
Auf einmal kam ihr ein Gedanke. Alles, was sie selbst beeinflusste, würde später einmal auch Nicole beeinflussen. Schuldete sie ihrer Tochter nicht ein bisschen mehr? Sollte sie sich so leicht geschlagen geben? Plötzlich wusste sie, dass sie versuchen musste, mit ihrer Schwiegermutter irgendwie zurechtzukommen. Und Weihnachten war dafür eine gute Gelegenheit.
„Laura, ich wollte Dominic vorschlagen, dass wir am Sonntag einen Christbaum aufstellen und schmücken. Er fände es sicher toll, wenn du und Michael auch kommen würdet. Und Adam natürlich.“
Ihre Schwiegermutter schien überrascht, dann verdunkelte sich ihr Blick. „Ich habe überhaupt noch nicht an Weihnachten gedacht.“
„Es sind nur noch acht Tage bis dahin.“ Und nach einer kurzen Pause fügte Cassandra hinzu: „Warum kommt ihr nicht alle am Sonntag zum Abendessen?“
„Äh … ich bin nicht …“
„Ich glaube, es wäre gut für Nicole, wenn ihre Großeltern dabei sind.“ Cassandra war jetzt fest entschlossen. Sie dachte an ihre eigene Kindheit – ohne Großeltern.
Laura nickte zögernd. „Du hast recht. Nicole braucht uns.“
Das war zwar nicht die Antwort, die sie sich gewünscht hatte, aber Cassandra lächelte trotzdem. „Gut, dann rede ich heute Abend mit Dominic darüber.“
Nachdem Laura das Haus verlassen hatte, ging Cassandra noch einmal nach oben, um nach Nicole zu sehen. Hoffentlich habe ich mit meiner Einladung das Richtige getan , dachte sie, als sie ihrer schlafenden Tochter eine Kusshand zuwarf.
Anschließend fuhr Dominics Chauffeur sie in die Stadt und setzte sie am gewohnten Ort ab. Sie ertappte sich dabei, dass sie sich noch häufiger als sonst umsah, um sicherzugehen, dass ihr niemand folgte. Nach Dominics Drohung am Vorabend wollte sie kein Risiko eingehen.
Sie ging sogar in die Zahnarztpraxis, um einen Termin zu vereinbaren, ehe sie ein Taxi nahm und zum Pflegeheim fuhr. Wenigstens war es jetzt nicht ganz gelogen, dass sie beim Zahnarzt gewesen war.
Ihr Vater war guter Laune, und das freute Cassandra sehr. Jane Clyde, die Heimleiterin, erklärte sich einverstanden damit, dass Cassandra am folgenden Dienstag anfangen könne. Bevor sie ging, erklärte Cassandra der Heimleiterin noch, dass das Geld unterwegs sei, und Jane schien damit zufrieden zu sein.
Cassandra fühlte sich erleichtert, als sie wieder zu Hause war. Sie saß auf dem Wohnzimmerboden und spielte mit Nicole, als das Handy in ihrer Hosentasche summte. Gott sei Dank war es nicht das Pflegeheim. Es war Penny aus Sydney.
„Geht es euch besser?“
„Ja, alles ist wieder gut.“ Eine Weile war es still in der Leitung. „Cass, du musst mir einen Gefallen tun.“
Sofort wurde Cassandra hellhörig. Ihre Schwester war immer unabhängig gewesen und hatte Cassandra eigentlich nie um Hilfe gebeten. Das musste etwas Wichtiges sein.
„Was ist los?“
„Es geht um Dave. Er hat vor sechs Monaten seine Arbeit verloren.“
„Was? Warum hast du denn nichts gesagt?“
„Du hattest andere Sorgen, ich konnte dich damit nicht auch noch belasten.“ Wieder folgte eine Pause. „Er hat immer noch keinen neuen Job, und wir sind mit unseren Zahlungen für das Haus im Rückstand. Wenn wir bis Montag nicht zweitausend Dollar bezahlen, könnten wir alles verlieren.“
„Oh Penny!“
„Könntest du uns vielleicht das Geld leihen? Nur vorübergehend. Dave hat nächste Woche ein zweites Vorstellungsgespräch und es
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