Was ich dir noch sagen will
Lisa nun so schwer bedrückten.
So erinnerte sie sich beispielsweise noch genau an Emis letzten Geburtstag und daran, wie intensiv Erik sich mit der Kleinen beschäftigt hatte. Doch sie erinnerte sich auch noch daran, wie sie auf dem Nachhauseweg im Auto gesessen hatte und es ihr einen Stich versetzte, als Erik ihren Kommentar einfach ignorierte, sie würden hoffentlich eines Tages auch so ein tolles Kind haben wie Emilia. Lisa wusste noch genau, dass Erik damals stur auf die Fahrbahn gestarrt hatte und sich – obwohl sie ihn vom Fahrersitz aus erwartungsvoll ansah – in eisiges Schweigen hüllte.
Auch vor und nach ihrer Hochzeit hatte es unzählige Situationen gegeben, in denen sie von Freunden oder Verwandten mit dem Thema Nachwuchs aufgezogen worden waren. Zwar waren die meisten davon nur so dahergesagt, dennoch blieben Lisa und Erik oft eine Antwort schuldig. Offenbar waren sie unfähig gewesen, etwas Konkretes dazu zu sagen. Und schon damals beschlich Lisa die leise Ahnung, dass sie einen Mann geheiratet hatte, der sich schwertun würde mit dem – in ihren Augen eigentlich – normalen Weg für ein Paar, das sich liebte.
Doch sie wollte es ganz offensichtlich nicht wahrhaben. Und nun saß sie, genau ein Jahr später, in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer, ihrer gemeinsamen Wohnung, zwischen all den Möbeln, die sie zumeist gemeinsam ausgesucht hatten, und war unglücklich und verzweifelt.
Als Lisa ein weiteres Mal auf den Zettel starrte, schien sich ihr Gedankenkarussell nur noch schneller zu drehen. Tausend Dinge gingen ihr durch den Kopf, und sie wusste nicht mehr, ob ihr bloß zum Weinen oder gar zum hysterischen Lachen zumute war.
Tatsächlich füllten sich ihre Augen wieder mit Tränen, obwohl sie der ein oder andere Punkt auf Eriks Liste gleichzeitig zu einem Lächeln ermunterte. Dass zu seinen größten Wünschen diese dämliche Radtour durch Deutschland zählte, konnte sie kaum glauben. Wie oft er schon mit diesem Anliegen zu ihr gekommen war! Bislang hatte Lisa den Vorschlag jedes Mal abgeschmettert. Zwar mochte sie durchaus längere Radtouren. Doch sie befürchtete, schon nach der ersten Etappe so überanstrengt zu sein, dass sie sich kaum vorstellen konnte, mehrere Tage, geschweige denn Wochen gemeinsam mit Erik zu fahren – und schon gar nicht in seinem Tempo.
Auch der Besuch einer Husky-Farm hatte schon häufiger für Diskussionen zwischen ihnen gesorgt. Wenn es nach Erik gegangen wäre, hätten sie beide sogar ihre Flitterwochen irgendwo in der finnischen Tundra bei Minustemperaturen verbracht. Und auch wenn Lisa nichts gegen Hunde oder Schnee hatte und sich sogar vorstellen konnte, ihren Urlaub so weit im Norden zu verbringen, wollte sie dies jedoch unter keinen Umständen auf ihrer Hochzeitsreise tun. Viel lieber wollte sie während ihrer Flitterwochen in der Sonne sein, um die gemeinsame Zeit möglichst unbeschwert zu genießen.
Hätte sie damals bloß nachgegeben, kam es ihr nun in den Sinn. Vielleicht hätte sich dann alles ganz anders entwickelt zwischen ihnen. Wenn Erik sich in Sachen Hochzeitsreise durchgesetzt hätte und sie nicht nach Sansibar geflogen wären, hätte er sich vielleicht nicht so von ihr entfernt. Dann wären sie auch nicht mit diesem Flugzeugabsturz konfrontiert worden. Vielleicht hätten sie sich auf einer solchen Reise noch viel mehr auf sich konzentriert. Vielleicht hätten sie sich angesichts der langen, kalten Nächte noch öfter aneinandergekuschelt und lange Gespräche vor dem Kamin geführt, statt die meiste Zeit des Tages getrennt voneinander zu verbringen, weil der eine Sport treiben wollte, während der andere am Strand las.
Vielleicht, dachte Lisa, hätten sie dann das eine entscheidende Gespräch über Kinder geführt, und das Thema hätte sich viel natürlicher ergeben, so, wie Lisa es sich seit jeher ausgemalt hatte.
Doch nun schien ein kleiner Teil ihrer eigentlich heilen Welt zu Bruch gegangen zu sein.
Lisa seufzte schwer. Sie wusste noch immer nicht, ob sie die Sache unnötig dramatisierte oder ob sich zwischen ihnen tatsächlich eine ernsthafte Krise anbahnte.
Warum nur war Erik das Reisen so wichtig, dass er so viele andere Punkte nicht einmal angedacht hatte? Er wusste doch, was ihr wichtig war. Natürlich hatte Lisa schon damit gerechnet, dass eine eigene Familie oder auch ein spießiges Haus im Grünen nicht an erster Stelle seiner Liste stehen würden. Aber dass keiner ihrer Wünsche auch nur annähernd in dieselbe Richtung ging,
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