Was ich dir schon immer sagen wollte
Jahre vergehen, ehe der Betroffene oder seine Familie Behinderungen wahrnehmen. Der Patient zeigt eine langsam zunehmende körperliche Starre, verbunden mit einem Zittern des Kopfes und der Glieder. Es können verschiedene Ticks, Zuckungen, Muskelkrämpfe und andere unwillkürliche Bewegungen auftreten. Der Speichelfluss wird stärker und steigert sich häufig bis zum Sabbern. Wissenschaftlich ist die Krankheit als Paralysis agitans bekannt. Sie wird auch Parkinson-Krankheit oder Schüttellähmung genannt. Paralysis agitans befällt zuerst einen Arm oder ein Bein, dann das zweite Glied auf derselben Seite und schließlich die Glieder auf der anderen Seite. Das Gesicht verliert allmählich seine normale Ausdrucksfähigkeit und verändert sich mit wechselnden Stimmungen nur noch langsam oder gar nicht mehr. Die Krankheit tritt im Allgemeinen nur bei älteren Menschen auf und ergreift hauptsächlich Personen über sechzig oder siebzig. Heilungen sind nicht bekannt. Es gibt Medikamente, um das Zittern und den Speichelfluss einzudämmen. Ihre Wirkung ist jedoch begrenzt . [Fishbein, Medizinische Enzyklopädie .]
Meine Mutter muss in jenem Sommer einundvierzig oder zweiundvierzig Jahre alt gewesen sein, etwa in dem Alter, in dem ich jetzt bin.
Nur ihr linker Unterarm zitterte. Die Hand zitterte stärker als der Arm. Der Daumen schlug unablässig gegen den Handteller. Sie konnte ihn jedoch zwischen den anderen Fingern verstecken, und sie konnte den Arm stillhalten, indem sie ihn an den Körper presste.
Onkel James trank nach dem Abendbrot Porter. Er ließ mich davon kosten, schwarz und bitter. Das war ein neuer Widerspruch. »Bevor ich deinen Vater geheiratet habe«, hatte mir meine Mutter erzählt, »habe ich ihm das Versprechen abgenommen, nie Alkohol zu trinken, und er hat es auch nie getan.« Aber Onkel James, ihr Bruder, durfte ohne Einwände Alkohol trinken.
An einem Samstagabend fuhren wir alle in die Stadt. Meine Mutter und meine Schwester setzten sich in Tante Dodies Auto. Ich saß bei Onkel James und Tante Lena und den Kindern. Die Kinder nahmen mich in Beschlag. Ich war ein bisschen älter als das älteste von ihnen, und sie behandelten mich, als sei ich eine Trophäe, jemand, um dessen Gunst sie rangeln und wetteifern konnten. Also fuhr ich in ihrem Auto mit, das hoch und alt und rechteckig war wie das von Tante Dodie. Wir waren auf dem Heimweg, die Fenster hatten wir zur Kühlung heruntergekurbelt, und völlig unerwartet fing Onkel James an zu singen.
Er hatte wirklich eine schöne Stimme, eine schöne, traurige, nachklingende Stimme. Ich kann mich ganz genau an die Melodie des Liedes erinnern, das er sang, und an den Klang seiner Stimme, die zu den schwarzen Fenstern hinaushallte, aber an den Text kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern, hier und da ein paar Worte, obwohl ich oft versucht habe, mich an mehr zu erinnern, weil mir das Lied so gut gefiel.
Als ich einst wanderte in Kil-i-kennys Bergen …
Ich glaube, so fing es an.
Dann irgendwann etwas über Perlen oder Erlen und Manche freuen sich an … verschiedenen Dingen, und schließlich die laute, aber traurig klingende Zeile:
Doch meine ganze Wonne, das ist der Saft der Gerste .
Es herrschte Schweigen im Auto, während er sang. Die Kinder kabbelten sich nicht und wurden nicht geschlagen, einige schliefen sogar ein. Tante Lena mit dem kleinsten auf dem Schoß war eine unbedrohliche dunkle Gestalt. Das Auto rumpelte voran, als würde es für immer durch eine vollkommen schwarze Nacht fahren, in die seine Schweinwerfer einen schmalen Pfad schnitten; und ein Eselhase saß auf der Straße, sprang davon, aber niemand rief etwas, um auf ihn aufmerksam zu machen, niemand unterbrach den Gesang, seine weithin hallende, zärtliche Traurigkeit.
Doch meine ganze Wonne, DAS IST DER SAFT DER GERSTE.
Wir machten uns früh auf den Weg zur Kirche, damit wir nach den Gräbern schauen konnten. St. John’s war eine weiße Holzkirche an der Landstraße, mit dem Friedhof dahinter. Wir blieben bei zwei Grabsteinen stehen, auf denen die Worte Mutter und Vater standen. Darunter in viel kleineren Buchstaben die Namen und Daten der Eltern meiner Mutter. Zwei flache Steine, nicht sehr groß, lagen wie Pflastersteine in dem kurz geschnittenen Gras. Ich schlenderte davon, um interessantere Dinge zu betrachten – Urnen und betende Hände und Engel im Profil.
Bald folgten mir meine Mutter und Tante Dodie.
»Wer braucht all diesen pompösen
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