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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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hatte, was sich mit Geld kaufen ließ, aber dass der einzige Sohn Epileptiker war, oder dass die Eltern der einzigen Person aus unserer Stadt, die zu bescheidener Berühmtheit gelangt war, einer Pianistin namens Mary Renwick, gesagt hatten, dass sie den Ruhm ihrer Tochter gern für zwei Babyhändchen hingeben würden. Zwei Babyhändchen? In ihrem Universum warf das Glück immer auch einen Schatten.
    Meine Schwester und ich gingen in die Bahnhofshalle, die mit ihren hell erleuchteten Geschäften wie eine Straße war und mit dem hohen, gewölbten Dach und den großen Fenstern an jedem Ende wie eine Kirche. Sie war erfüllt vom Donner der Züge, die gleich hinter den Wänden vorbeizufahren schienen, und von einer mächtigen, wohlklingenden Lautsprecherstimme, die kaum zu verstehende Ortsnamen verkündete. Mit dem Geld, das wir bekommen hatten, kaufte ich mir eine Filmillustrierte, und meine Schwester kaufte sich Schokoladenriegel. Ich wollte zu ihr sagen: »Gib mir einen Haps ab, oder ich zeige dir nicht den Weg zurück«, aber sie war so eingeschüchtert von der Pracht des Ortes oder verängstigt durch ihre Abhängigkeit von mir, dass sie unaufgefordert ein Stück abbrach.
    Am späten Nachmittag stiegen wir in den Zug nach Ottawa. Wir waren von Soldaten umgeben. Meine Schwester musste bei meiner Mutter auf dem Schoß sitzen. Ein Soldat, der vor uns saß, drehte sich um und scherzte mit mir. Er sah Bob Hope sehr ähnlich. Er fragte mich, aus welcher Stadt ich kam, und sagte dann: »Gibt’s da schon Häuser, höher als das Erdgeschoss?«, genauso scharf, todernst und klugscheißerisch, wie Bob Hope es gesagt hätte. Ich dachte, vielleicht war er wirklich Bob Hope und reiste inkognito in der Uniform eines einfachen Soldaten durchs Land. Das kam mir nicht unwahrscheinlich vor. Außerhalb meiner Heimatstadt – oder zumindest so weit fort davon – schien mir gut möglich zu sein, dass all die Großen und Berühmten der Welt frei umherschwebten und irgendwo auftauchten.
    Tante Dodie holte uns im Dunkeln am Bahnhof ab und fuhr uns zu ihrem Haus, meilenweit draußen auf dem Land. Sie war klein, hatte ein spitzes Gesicht und lachte am Ende jedes Satzes. Sie fuhr ein altes rechteckiges Auto mit Trittbrettern.
    »Na, ist Ihre Majestät erschienen, um sich mit dir zu treffen?«
    Sie meinte damit die Anwältin, die in Wahrheit ihre Schwester war. Tante Dodie war eigentlich gar nicht unsere Tante, sondern Mutters Kusine. Sie redete nicht mit ihrer Schwester.
    »Nein, sie muss beschäftigt gewesen sein«, sagte meine Mutter neutral.
    »Ah, beschäftigt«, sagte Tante Dodie. »Sie ist damit beschäftigt, sich die Hühnerkacke von den Schuhen zu kratzen. Was?« Sie fuhr schnell, über Furchen und Schlaglöcher.
    Meine Mutter winkte der Schwärze auf beiden Seiten von uns zu. »Kinder! Kinder, das ist das Tal von Ottawa!«

    Es war kein Tal. Ich hielt nach Bergen oder wenigstens Hügeln Ausschau, aber alles, was ich am Morgen erblickte, waren nur Felder und Wald und Tante Dodie draußen vor dem Fenster, die einem Kalb einen Eimer mit Milch hinhielt. Das Kalb stieß den Kopf so heftig in den Eimer, dass die Milch herausschwappte, und Tante Dodie lachte und schimpfte und schlug es, damit es langsamer trank. Sie nannte es einen Scheißer. »Gieriger kleiner Scheißer!«
    Sie hatte ihre Melksachen an, die vielschichtig und vielfarbig, zerlumpt und flatterig waren wie die Kleidung einer Bettlerin in einer Schüleraufführung. Ein Männerhut, der fast nur noch aus der Krempe bestand, saß – zu welchem Zweck? – auf ihrem Kopf.
    Meine Mutter hatte mich nie darauf vorbereitet, dass wir mit Leuten verwandt waren, die sich so kleideten oder das Wort Scheißer benutzten. »Ich dulde keinen Unflat«, sagte meine Mutter immer. Aber offenbar duldete sie Tante Dodie. Sie sagte, sie wären wie Schwestern gewesen, als sie aufwuchsen. (Die Anwältin, Bernice, war älter gewesen und früh von zu Hause fortgegangen.) Dann sagte meine Mutter meistens, dass Tante Dodie ein tragisches Leben gehabt hatte.
    Tante Dodies Haus war kahl. Es war das ärmste Haus, in dem ich mich je aufgehalten hatte. Aus dieser Entfernung sah unser eigenes Haus – das ich immer für arm gehalten hatte, denn wir wohnten zu weit außerhalb der Stadt, um eine Toilette mit Spülung oder fließendes Wasser zu haben, und gewiss hatten wir keine wahren Anzeichen von Luxus wie Jalousien – sehr gemütlich eingerichtet aus, mit seinen Büchern und dem Klavier und dem guten

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