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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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warm war. Der Spiegel hatte zwei Klappflügel. Wenn der Spiegel völlig beschlagen und die Luft von Dingen, die ich benutzen durfte, wie eine Parfümwolke war, stellte ich mich auf den Rand der Badewanne und bewunderte mich nackt, von drei Seiten. Manchmal dachte ich darüber nach, auf welche Art wir zu Hause lebten und auf welche Art wir hier lebten und wie schwer es fiel, sich die eine Art vorzustellen, wenn man auf die andere lebte. Aber ich dachte, Leute, die so lebten wie wir zu Hause, hatten es viel leichter, sich etwas wie das hier auszumalen, die Flamingos und die Wärme und die weiche Matte, während jemand, der nur Dinge wie diese kannte, es schwerer hatte, sich auszumalen, wie es auf die andere Art war. Und warum war das so?
    Ich hatte meine Aufgaben im Nu erledigt, hatte auch das Gemüse fürs Abendessen geputzt und in kaltem Wasser angesetzt. Dann ging ich in Mrs. Peebles Schlafzimmer. Ich war schon oft zum Saubermachen darin gewesen, und ich hatte immer einen ausgiebigen Blick in den Kleiderschrank geworfen, auf die Sachen, die sie dort hängen hatte. Ich hätte nie in ihre Schubladen geschaut, aber ein Kleiderschrank ist für jedermann offen. Das ist gelogen. Ich hätte auch in Schubladen geschaut, aber ich hätte mich dabei noch schlechter gefühlt und noch mehr Angst gehabt, sie könnte es merken.
    Einige Sachen in ihrem Schrank trug sie andauernd, ich kannte sie gut. Andere zog sie nie an, sie hingen ganz hinten. Ich war enttäuscht, kein Hochzeitskleid zu finden. Aber ich entdeckte ein langes Kleid, von dem ich nur den Rock sehen konnte, und ich fieberte danach, den Rest zu sehen. Also prägte ich mir ein, wo es hing, und nahm es heraus. Es war aus Satin, ein entzückendes Gewicht auf meinem Arm, von heller, bläulichgrüner Farbe, fast silbrig. Es hatte eine schmale, spitz zulaufende Taille, einen weiten Rock und Volants an den Schultern, um die kurzen Ärmel zu verbergen.
    Das Nächste war einfach. Ich zog meine eigenen Sachen aus und schlüpfte in das Kleid. Ich war mit fünfzehn schlanker, als jemand, der mich jetzt kennt, glauben würde, und es passte wunderbar. Ich trug natürlich keinen trägerlosen Büstenhalter, was hier erforderlich war, also schob ich die Träger zur Seite unter den Stoff. Dann versuchte ich mir die Haare hochzustecken, um die Wirkung zu verstärken. Eins führte zum anderen. Ich legte Rouge und Lippenstift auf und benutzte den Augenbrauenstift aus ihrer Frisierkommode. Die Hitze des Tages und das Gewicht des Satins und die ganze Aufregung machten mich durstig, und ich ging, so aufgemacht, wie ich war, in die Küche, um mir aus dem Kühlschrank ein Glas Gingerale mit Eiswürfeln zu holen. Die Peebles tranken den ganzen Tag lang Gingerale oder Fruchtsaft wie Wasser, und ich gewöhnte es mir auch an. Außerdem gab es Eiswürfel in unbegrenzter Menge, die ich so sehr mochte, dass ich sie mir sogar in ein Glas Milch tat.
    Ich stellte die Eiswürfelschale zurück, drehte mich um und sah einen Mann, der mich durch die Fliegengittertür beobachtete. Es war reine Glückssache, dass ich mir nicht sofort das Gingerale über das Kleid schüttete.
    »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich habe angeklopft, aber Sie haben gerade das Eis herausgeholt und mich nicht gehört.«
    Ich konnte nicht erkennen, wie er aussah, er war dunkel wie jemand dicht vor einer Fliegengittertür mit dem hellen Tageslicht hinter sich. Ich merkte nur, er war nicht von hier.
    »Ich bin aus dem Flugzeug da drüben. Mein Name ist Chris Watters, und ich möchte gern wissen, ob ich Ihre Pumpe benutzen darf.«
    Im Hof stand eine Pumpe. So hatten die Leute sich früher mit Wasser versorgt. Jetzt fiel mir auf, dass er einen Eimer trug.
    »Ja, sicher«, sagte ich. »Aber ich kann Ihnen das Wasser vom Hahn holen und das Pumpen ersparen.« Wahrscheinlich wollte ich ihm klarmachen, dass wir Leitungswasser hatten und nicht zu pumpen brauchten.
    »Ich hab nichts dagegen, mich anzustrengen.« Er regte sich jedoch nicht und sagte schließlich: »Wollten Sie auf einen Ball gehen?«
    Der Fremde vor der Tür hatte mich völlig vergessen lassen, wie ich angezogen war.
    »Oder kleiden sich die Damen in dieser Gegend nachmittags immer so?«
    Mir fiel keine witzige Antwort ein. Ich war zu verlegen.
    »Wohnen Sie hier? Sind Sie die Dame des Hauses?«
    »Ich bin das Dienstmädchen.«
    Manche Menschen werden anders, wenn sie das herausfinden, ihre ganze Art, dich anzuschauen und mit dir zu reden, ändert sich, aber bei ihm

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