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Was ich dir schon immer sagen wollte

Was ich dir schon immer sagen wollte

Titel: Was ich dir schon immer sagen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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nicht.
    »Ich wollte Ihnen nur sagen, Sie sehen ganz reizend aus. Ich war völlig überrascht, als ich zur Tür hereinschaute und Sie sah. Einfach, weil Sie so reizend aussahen und so schön.«
    Ich war damals noch nicht alt genug, um zu erkennen, wie ungewöhnlich es für einen Mann ist, so etwas zu einer Frau zu sagen oder zu einem Mädchen, das er wie eine Frau behandelt. Ein Wort wie schön zu sagen. Ich war nicht alt genug, um es zu erkennen oder etwas zu erwidern, um irgendetwas anderes zu tun als zu wünschen, er würde weggehen. Nicht, dass ich ihn nicht mochte, aber es brachte mich ganz durcheinander, dass er mich ansah und mir nichts zu sagen einfiel.
    Er muss verstanden haben. Er sagte Auf Wiedersehen, bedankte sich bei mir, ging und füllte seinen Eimer an der Pumpe. Ich stand hinter der Jalousie im Wohnzimmer und beobachtete ihn. Als er fort war, ging ich ins Schlafzimmer, zog das Kleid aus und hängte es wieder an seinen Platz. Ich zog meine eigenen Sachen an, ließ die Haare herunter und wischte mir das Gesicht mit Kleenex-Tüchern ab, die ich in den Papierkorb warf.

    Die Peebles fragten mich, was für ein Mann er war. Jung, älter, klein, groß? Ich wusste es nicht zu sagen.
    »Sieht er gut aus?«, neckte Dr. Peebles mich.
    Ich konnte nur daran denken, dass er wiederkommen würde, um sich Wasser zu holen, er würde mit Dr. oder Mrs. Peebles reden, sich mit ihnen anfreunden, und er würde erzählen, wie herausgeputzt er mich an jenem ersten Nachmittag gesehen hatte. Warum es nicht erzählen? Er würde es komisch finden. Und keine Ahnung haben, in welche Schwierigkeiten er mich damit brachte.
    Nach dem Abendessen fuhren die Peebles in die Stadt, um ins Kino zu gehen. Mrs. Peebles wollte mit ihren frisch frisierten Haaren noch etwas unternehmen. Ich saß in meiner hellen Küche und grübelte, was ich tun konnte, denn ich wusste, an Schlaf war nicht zu denken. Möglich, dass Mrs. Peebles mich nicht entließ, wenn sie es herausfand, aber ihre Einstellung zu mir würde sich ändern. Dies war meine allererste Arbeitsstelle, doch ich hatte schon etwas mitbekommen von den Erwartungen, die Menschen haben, wenn man für sie arbeitet. Sie denken gerne, dass man nicht neugierig ist. Nicht nur, dass man redlich ist, das genügt nicht. Sie haben gerne das Gefühl, dass man nichts wahrnimmt, dass man sich über nichts wundert und über nichts nachdenkt als darüber, was sie gerne essen, wie sie ihre Sachen gebügelt haben wollen und so weiter. Ich meine nicht, dass sie mich nicht gut behandelten, denn das taten sie. Sie ließen mich die Mahlzeiten mit ihnen zusammen einnehmen (was ich, um die Wahrheit zu sagen, auch erwartete, ich wusste nicht, dass es Familien gab, die es nicht so hielten) und nahmen mich manchmal im Auto mit. Aber trotzdem.
    Ich ging hinauf und sah nach, ob die Kinder schliefen, dann ging ich hinaus. Ich konnte nicht anders. Ich überquerte die Straße und ging durch das Tor zum alten Rummelplatz. Das Flugzeug, das dort stand, sah unnatürlich aus und leuchtete im Mondlicht. Am anderen Ende des Rummelplatzes, wo die Natur sich wieder durchsetzte, sah ich sein Zelt.
    Er saß davor und rauchte eine Zigarette. Er sah mich kommen.
    »Hallo, geht’s um einen Rundflug? Ich fange erst morgen damit an.« Dann sah er noch einmal hin und sagte: »Ach, Sie sind’s. Ohne Ihr langes Kleid habe ich Sie gar nicht erkannt.«
    Mein Herz schlug wie wild, mein Mund war ausgetrocknet. Ich musste etwas sagen. Aber ich konnte nicht. Meine Kehle war zugeschnürt, und ich war wie eine Taubstumme.
    »Wollten Sie mitfliegen? Setzen Sie sich. Nehmen Sie eine Zigarette.«
    Ich konnte nicht einmal den Kopf schütteln, um nein zu sagen, also gab er mir eine.
    »Stecken Sie sie in den Mund, sonst kann ich sie nicht anzünden. Bloß gut, dass ich schüchterne Damen gewohnt bin.«
    Ich steckte sie in den Mund. Es war nicht einmal meine erste Zigarette. Meine Freundin zu Hause, Muriel Lowe, stahl sie immer ihrem Bruder.
    »Ihre Hand zittert ja. Wollten Sie nur plaudern oder was?«
    In einem Atemzug sagte ich: »Bitte sagen Sie bloß nichts von dem Kleid.«
    »Welches Kleid? Ach, das lange Kleid.«
    »Das gehört Mrs. Peebles.«
    »Wem? Ach, der Dame, für die Sie arbeiten, stimmt’s? Sie war nicht zu Hause, also haben Sie sich ihr Kleid angezogen? Sie haben sich feingemacht und Prinzessin gespielt? Kann ich Ihnen nicht verübeln. Sie rauchen die Zigarette nicht richtig. Nicht nur paffen. Einatmen. Hat Ihnen noch niemand

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